Im Dunkeln der Tod
dem Bild trug er an einem Träger über der Schulter. Als er wieder auf dem Dach stand, blieb er für einen Moment stehen, um Atem zu holen. Er sah sich nach allen Seiten um, konnte aber weder einen Menschen noch einen Streifenwagen entdecken.
Konzentriert und mit hämmerndem Herzen sprang er auf den Boden, lief an der Rückseite des Hauses entlang und stolperte die steile Treppe zum Eis hinunter. Schnallte mit ungeschickten Fingern die Schlittschuhe an und warf die Stiefel in seinen Rucksack. Als er loslief, wäre er fast gestürzt, fand aber das Gleichgewicht wieder und glitt schließlich mit langen, rhythmischen Schritten davon.
In der Ferne hörte er Polizeisirenen immer näher kommen. Als er den Kanal erreicht hatte, sah er die Streifenwagen in hohem Tempo über die Djurgårdsbro nach Valdemarsudde fahren.
Er lauschte seinem keuchenden Atem, sein Brustkorb schmerzte vor Kälte und Anstrengung. Zugleich keimte in ihm ein Glücksgefühl. Endlich würde die Schuld bezahlt werden. Das Gemälde war unterwegs zu seinem rechtmäßigen Besitzer. Dieses Wissen schenkte ihm Frieden.
Seine Spuren würden bei den Steinen unterhalb des Schlosses enden. Sie würden ihn nicht finden. Auch dieses Mal nicht.
Es war der erste Einbruch in der Geschichte des Museums. Als der Museumsleiter Per-Erik Sommer am Sonntagmorgen um drei Uhr dort eintraf, hatte er ein Gefühl, als ob jemand in sein privates Wohnzimmer eingedrungen wäre. Er war seit fünfzehn Jahren Museumsleiter, und Valdemarsudde war sein ganzer Lebensinhalt, seine zweite Heimat. Er hatte sich nicht vorstellen können, dass ein schnöder Dieb nachts hier einbrechen könnte. Die Sicherheitsvorkehrungen waren auf dem neuesten Stand. In den vergangenen Jahren hatte es in Stockholm mehrere aufsehenerregende Kunstdiebstähle gegeben. Im Nationalmuseum war es während der Öffnungszeit zu einem bewaffneten Überfall gekommen, im Museum für Moderne Kunst waren die Diebe durch das Dach eingestiegen. Natürlich waren nach diesen Ereignissen die Sicherheitsmaßnahmen auch in den anderen Museen der Stadt verschärft worden. Auf Valdemarsudde waren Millionen investiert worden, um das Schloss und die umfangreiche Kunstsammlung des Prinzen zu schützen.
Die Polizei war schon mit Hunden vertreten, als der Museumsleiter eintraf, und das Gelände wurde abgesperrt und durchsucht. Beim Haupteingang traf er auf Kommissar Knut Fogestam, der hier das Kommando innehatte. Er zeigte, wo der Dieb eingestiegen war. So viele Sicherheitsvorkehrungen hatte es gegeben. Und dann war er frech durch den Luftschacht geklettert. Per-Erik Sommer schüttelte den Kopf.
Zusammen betraten sie das Haus. In den Salons brannten jetzt alle Lampen. Sie begannen in der Bibliothek. Dort fehlte nichts, ebenso wenig wie im Blumenzimmer. Per-Erik Sommer atmete auf, als er sich davon überzeugen konnte, dass auch das Wohnzimmer unversehrt war. Dort hing unter anderen Anders Zorns Portrait der Mutter des Prinzen, Königin Sofia, zu der der Prinz eine enge Beziehung gehabt hatte. Ein Diebstahl dieses Bildes wäre einer Katastrophe gleichgekommen. Das zweite ungeheuer wertvolle Gemälde, »Der Wassermann« von Erland Josephsson, war in die Wand eingelassen und konnte deshalb nicht gestohlen werden.
Dann erkannte Sommer, was fehlte. Da das Gemälde durch seine Größe den gesamten Speisesaal dominiert hatte, wirkte der Raum nun seltsam nackt. Der »Sterbende Dandy« war verschwunden. Herausgeschnitten – der Rahmen hing leer und unheilverkündend wie ein stummer Zeuge.
Sommer wollte sich setzen, wurde von der Polizei jedoch daran gehindert. Es bestand die Gefahr, Spuren zu vernichten. Er war vom Schock wie betäubt, drehte sich aber um, um auch die restlichen Räume zu überprüfen.
Dabei entdeckte er einen Gegenstand, der ihm bisher noch nicht aufgefallen war.
Auf einem Tisch vor dem leeren Rahmen stand eine kleine Skulptur. Und die gehörte nicht in Prinz Eugens Haus. Sommer kannte sie überhaupt nicht. Langsam beugte er sich vor.
»Was ist los?«, fragte Kurt Fogestam.
»Das da gehört nicht in die Sammlung«, sagte Sommer.
Er streckte die Hand danach aus, aber der Kommissar hielt ihn zurück.
»Was soll das heißen?«
»Dass diese Statue nicht dem Museum gehört. Der Dieb muss sie hier hinterlassen haben.«
Verdutzt starrten alle die kleine Steinskulptur an. Es war ein Torso, ein nackter Oberkörper mit langem Hals und einem zur Seite gedrehten, ein wenig zurückgelegten Kopf. Das Gesicht war einfach
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