Vadim oeffnet sich (Du + Ich = Wir Zwei)
Dr. Elizabeth Blooms Praxis hat etwas Beruhigendes an sich. Die Wände und Decken sind weiß. Mein Blick wandert über ihre angsteinflößende Couch, die mich jedes Mal fast einsaugt, und ihren perfekt lackierten Schreibtisch, von wo aus sie mich mit ihrem Blick zu durchdringen sucht und sich hinter ihrer halbkreisförmigen Brille verschanzt. Einmal pro Woche sitze ich vor ihr und packe aus. Mir kommt es jedes Mal so vor, als ob ich auf einer riesigen Wolke schweben würde.
Elizabeth ist eine Frau in den Fünfzigern und sehr hübsch. Sie sieht vornehm aus und ist von natürlicher Eleganz. Ihr schlichter, aber übergenauer Kleidungsstil passt perfekt zu ihr. Sie hat einen Sinn fürs Detail, beherrscht die Moderegeln, ohne sich je dabei zu täuschen. Ursprünglich kommt sie aus dem kalifornischen Pasadena und hat vor zehn Jahren beschlossen, nach Paris zu ziehen. Deshalb habe ich mich für sie entschieden. Weil sie, wie ich, ihre Wurzeln verlassen hat. Aber auch wegen der Dutzenden Auszeichnungen, die an den Wänden ihres Sprechzimmers hängen.
„Ich kann verstehen, warum Sie sich in diesem Viertel niedergelassen haben“, sage ich und starre auf das Doppelfenster, von wo aus man auf die fast menschenleere Straße sehen kann. „Historisch, ruhig, strukturiert, ohne böse Überraschungen. Ich spiele mit dem Gedanken, mir hier in der Gegend ein Apartment zu kaufen.“
Ihre Praxis befindet sich in der Avenue de La Bourdonnais im 7. Arrondissement. Ganz in der Nähe des Champ de Mars und des Eiffelturms.
„Ich dachte, Sie bevorzugen eine lebhaftere, aufmunterndere Umgebung. Das Viertel Gros-Caillou ist nicht gerade das ereignisreichste“, antwortet sie verwundert und kritzelt etwas auf ihr weißes Blatt Papier.
„Ich kann mir gut vorstellen, hier zu leben …“
„Allein?“
„Haben Sie noch nicht genug von ihr gehört?“, frage ich belustigt und lächle.
„Nein. Dafür bin ich da, Vadim. Damit Sie über Ihre Gefühle sprechen können.“
Genau das ist das Problem …
„Alma würde nicht hier leben wollen, glaube ich“, erwidere ich leise.
„Warum glauben Sie das?“
„Sie mag Lärm, heftiges Treiben, zufällige Begegnungen und überfüllte Bars. Für sie wäre es zu perfekt, zu ruhig … wie ausgestorben. Sie würde sich nur langweilen.“
„Wollen Sie nicht dasselbe?“
„Ich weiß es nicht. Manchmal habe ich Angst, ihr nicht zu genügen. Ich bin nicht mehr der Abenteurer, der ich früher einmal war. Ich bin ruhiger geworden … oder zumindest habe ich es versucht. Und wenn man sich meinen Terminkalender ansieht, erkennt man, dass es nicht viele Gelegenheiten dafür gibt.“
„Wären Sie für sie zu Kompromissen bereit? Würden Sie Alma zu Ihrer Priorität machen?“
„Das habe ich bereits gemacht. Auch wenn es nicht immer offensichtlich ist.“
„Weiß sie es?“
„Nein.“
„Warum verschweigen Sie es ihr?“
„Sie fragt nicht danach. Ich glaube, sie kommt mit der Situation, wie sie jetzt ist, gut klar.“
„Glauben Sie, dass es ihr egal ist?“
„Was genau?“
„Eine Beziehung mit einem Mann zu haben, der von seiner Arbeit besessen ist.“
„Ich bin Geschäftsführer, ich trage Verantwortung. Sicherlich will ich es mir selber beweisen, aber ich schulde es auch meinen Angestellten, dass ich ein erfolgreicher Geschäftsführer bin.“
„Das verstehe ich. Aber glauben Sie nicht, dass Sie das immer weiter voneinander entfernt?“
„Nein. Alma ist genauso engagiert und ehrgeizig wie ich.“
„In diesem Punkt haben Sie beide dann also etwas gemeinsam. Warum wollen Sie nicht einen Schritt weitergehen? Ihre Liebesgeschichte frei ausleben, ohne Geheimnisse und ohne diese panische Angst, dass Ihre Beziehung mit ihr bekannt werden könnte?“
„Wegen all den anderen Gründen.“
„Der Vergangenheit? Der Presse? Ihrer Berühmtheit?“
„Unseren … Familien“, sage ich und muss schlucken.
„Lassen Sie uns Almas Familie für einen Augenblick vergessen. Spielen Sie auf Ihre Ermittlungen an, um den Mord an Ihren Eltern aufzuklären?“
„Ja.“
„Steht das zwischen Ihnen?“
„Solange ich die Wahrheit noch nicht herausgefunden habe, werde ich nur ein Schatten meiner selbst sein. Alma verdient etwas Besseres.“
Elizabeth Bloom weiß alles. Bis ins kleinste Detail. Ich habe ihr nichts verschwiegen, ich habe nicht versucht, mich als ein anderer auszugeben. 300 Euro pro Stunde, um Lügen zu erzählen … Das wäre eine teure Sitzung. Sogar für einen
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