Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Dutzend phantastischer

Im Dutzend phantastischer

Titel: Im Dutzend phantastischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
Vom Netzwerk:
trat er an den Spiegel heran und übersah die Pfütze, die von seiner gestrigen Duschorgie zurückgeblieben war. Er hatte sie am Vorabend nicht mehr entfernt – hatte es nicht für wichtig erachtet, wo er doch längst tot hätte sein müssen. Mit einem Aufschrei rutschte er in der Wasserlache aus und stürzte. Noch vor einem halben Jahr hätte er sich ohne viel Mühe am Waschbecken halten können, doch seine von Gicht befallenen Finger ließen keine schnelle Reaktion zu. Seine rechte Hüfte knackste. Ein Schmerz brannte auf, so stark, dass ihm übel wurde. Er brüllte. Dann lag er wimmernd auf dem sich erwärmenden Metallboden, versuchte sich hochzustemmen, doch die gebrochene Hüfte hinderte ihn daran. Er betätigte seinen Bizeps-Caller, den er sich unter die Haut hatte implantieren lassen – seinen Prototyp – und alarmierte die Ambulance. Peter weinte, doch das Weinen ging in ein verrücktes Lachen über.

    Als er drei Monate später aus dem Krankenhaus entlassen wurde, entgiftet, entschlackt, vollkommen wiederhergestellt und so gut aussehend wie nie zuvor, hatte er auch den Vertrag für die serielle Herstellung seines Bizeps-Callers in der Tasche und sein leeres Konto aufgefüllt. Madame Teytusso hatte ihn im Krankenhaus besucht, ihr Bedauern zum Ausdruck gebracht und ihm ein großzügiges Angebot gemacht.
    Mit dem zufriedenen Gefühl, seinen Körper wiederbekommen zu haben und der Vorbestimmung vom OP-Tisch gesprungen zu sein, betrat Peter seine Wohnung. Er hatte die Räume reinigen sowie den Spiegel und den Drink-O-Mat auswechseln lassen.
    Auf dem Tisch in der Küche lag ein Zettel. Peter nahm die Nachricht in die Hand und überflog die Zeilen der Reinigungsfirma, die ihren Auftrag als erledigt betrachtete und ihm alles Gute wünschte, die Honorierung würde von seinem Konto abgebucht werden. Am Ende stand ein P.S.: »Wir haben die Nummer auf dem Spiegel aufgeschrieben, falls Sie diese noch benötigen.«
    Während Peters Körper erstarrte und jegliche Lebensfunktionen daraus zu entwichen schienen, zitterte seine Hand so stark, dass sich die Zahlen, die auf dem Zettel standen, vor seinen Augen wie   Schlangen wanden.
     

     
    Sein Gehirn hatte ihm einen Streich gespielt und die Zahlen in die falsche Reihenfolge gebracht. Schon als Kind war er nie in der Lage gewesen, Spiegelschrift zu deuten.
    Alles war umsonst gewesen, sie hatten es gewusst. Alle.
    Ihm blieben nicht mal mehr neun Monate...

Schlafveränderung
    (2002)
     
    Montag, 23. Juli
    Als ich heute Morgen in den matten Spiegel schaute, begrüßte mich ein fremdes Gesicht. Es war nicht das Gesicht, zu dem meine Erinnerungen gehörten, es war auch nicht das Gesicht des Mannes, der sich gestern Abend zu Bett gelegt hatte. Es war ein altes Gesicht, zerfurcht mit tiefen Falten und Augen, die Geschichten erzählten, von denen mein Gehirn nicht eine einzige kennt.
    Um das Aussehen eines so alten Mannes zu haben, reicht mein Erinnerungsvermögen nicht im Geringsten aus. Hat das Glas Rotwein am Abend zuvor meine Sinne getrübt? Leide ich an einer Krankheit, die mein Denkvermögen beeinträchtigt? Ich weiß es nicht. Morgen werde ich meinen alten Freund Edgar aufsuchen und ihn um Rat bitten. Für heute bin ich des Grübelns überdrüssig und lege mich zu Bett.
     
    Dienstag, 24. Juli
    Der Schlaf war für mich immer die wunderbarste Erholung, um meinem Schaffen das Besondere zu verleihen. Träume sandten mir stets die kreativsten Ideen. Doch seit gestern scheint alles anders zu sein. Anstelle der Erinnerung meiner Existenz, meines Namens, befand sich nun ein langer, weißer, zotteliger Bart in meinem Gesicht. Dieser war gestern – so bin ich mir gewiss – noch nicht vorhanden. Oder irre ich mich gar?
    Edgar! Mein Freund, an ihn werde ich mich meinen Lebtag erinnern. Zahlreiche Abende haben wir miteinander getrunken und gelacht, gute und traurige Zeiten miteinander erlebt. Er würde wissen, was mit mir geschah.
    Doch ich irrte. Als ich sein Haus erreichte, ließ er mich nicht ein. Fremde, so sagte er, dürften niemals über die Schwelle seines Hauses treten. Ich möge mich von dannen schleichen. Als ich ihm sagte, ich wäre sein alter Freund, glaubte er mir nicht. Er erkannte mich nicht, und ich wusste ihm nicht meinen Namen zu nennen.
    So trottete ich wie ein getretener Köter nach Hause. Jetzt sitze ich hier und schreibe, solange ich des Schreibens noch mächtig bin. Wann werde ich mich nicht mehr an die Buchstaben erinnern, um den wahnsinnigen Worten meines

Weitere Kostenlose Bücher