Im Dutzend phantastischer
mir bereitwillig Antwort: >Mittwoch war der 24. Also dürfte heute der 25. Juni 1945 sein. Logisch, nicht?<
Ack.
Darauf folgte Stille.
>Ack?<, wiederholte ich. >Was soll das heißen?<
Ungewöhnlich.
>Was soll daran ungewöhnlich sein?<
1945.
>1945 ist ein stinknormales Jahr. Es liegt etwa zwischen 1944 und 1946.<
Ich kicherte über meinen Witz und versuchte erneut meine Arme zu bewegen – ich glaubte diesen Befehl von meinem Gehirn aus an sie zu senden, konnte ihn aber nicht ausführen, weil ich mir nicht sicher war, ob ich überhaupt Gliedmaßen besaß. Scheiße. Was war los mit mir? Schlaganfall? War ich gelähmt? Nach allem, was ich erlebt und überlebt hatte, sollte ich jetzt nach einem Schlaganfall vor mich hinvegetieren?
Du bist tot – und das verdammt lange, mein Lieber.
>Ahja?<, schrie ich. >Ahja? Und wieso denke ich dann? Häh? Wieso quatsche ich mir selbst die Ohren voll und labere mir Wurstbrote an meine beschissenen Knie, die ich nicht fühlen kann? Erklär mir das.<
Die Stimme in meinem Kopf schwieg. Na bitte, zumindest war es mir gelungen, ihr den Saft abzudrehen.
Aber das erklärte nicht meine Situation. Ich brauchte Hilfe und zwar schnell. Aber wie sollte ich die Kameraden alarmieren, wenn ich nicht zu schreien in der Lage war?
Vergiss es. Du bist tot.
>Halts Maul! Ich bin nicht tot!<
Aber sicher. Du lebst und führst im Traum Selbstgespräche. Klar. Gut, dass ich wenigstens noch bei Verstand bin.
>Du bist mein Verstand.<
Wäre ich nicht bewegungsunfähig gewesen, hätte ich mir diese Stimme aus meinem Kopf geprügelt, aber so war ich dazu verdammt, ihre Gegenwart zu akzeptieren. Ein Traum. Das musste es sein. Nichts weiter als ein Albtraum.
Red dich ruhig raus. Das wird dir nichts nützen.
>Ich bin nicht tot. Ich bin nicht tot! Wäre ich tot, dann wäre alles vorbei. Keine Stimmen, keine Schreie, keine Bilder. Aber es ist alles noch da.< Ich musste aus diesem Albtraum erwachen.
Das ist verständlich. Aber das Denken ist im Laufe der Zeit die einzige Kommunikationsform, die du hast, um nicht vollkommen verrückt zu werden. Also beruhige dich und rede ruhig mit mir, das bin ich gewohnt.
Ich wollte meinen Kopf nehmen und schütteln, ihn gegen die Wand donnern, ich wollte schreien und heulen und gleichzeitig lachen. Aber ich wusste nicht einmal, wo mein Kopf war.
>Sag nicht nochmal, ich sei tot!<
Schon klar. Du lebst, erfreust dich bester Gesundheit und hast zurzeit nur einen Anflug von körperlichen Lähmungserscheinungen, die du mit Selbstgesprächen totzureden versuchst. Ui, da war es wieder, das böse Wort: Tot tot tot tot tot tot. Du bist tot! Ich ebenso.
>Klar, wenn ich tot sein soll, ist die Stimme in meinem Kopf auch tot. Warum hältst du dann nicht einfach deine Klappe?<
Ich bin nicht in deinem Kopf.
Darauf wusste ich keine Antwort. Eine weitere Frage wollte ich nicht stellen. Die Stimme in meinem Kopf schwieg.
Ich nannte sie Wilhelm. Einfach so, weil jeder einen Namen haben musste, selbst Stimmen in meinem Kopf, die behaupteten, nicht in meinem Kopf zu sein.
Wilhelm.
Ein furchtbarer Name.
Der Name passte perfekt. Wilhelm. So hieß mein Kommandeur. Er war ein Arschloch. Immer wieder war es ihm gelungen, seine Befehle in mein Gehirn einzupflanzen. Ich war willenlos gewesen – im Krieg.
Doch ich war es müde, Befehle entgegen zu nehmen. So viele davon waren über all die Jahre falsch gewesen. Ich hasste Wilhelm, den Kommandeur. Und ich hasste Wilhelm, die Stimme in meinem Kopf. Ja, ich hasste ihn von Minute zu Minute mehr.
Willkommen im Wahnsinn.
Eine Weile ignorierte ich ihn.
Doch dann hielt ich es nicht mehr aus. Es war ruhig, totenstill, sodass ich froh war, wenigstens mit Wilhelm – meinem mit mir kommunizierenden Selbst, dem Arschloch in mir – reden zu können.
>Was ist los mit mir?<
Meiner Meinung nach bist du tot.
Er kicherte.
>Gut, dann bin ich eben tot. Und wieso kann ich reden?<
Du redest nicht, du denkst.
>Also gut, warum denke ich?<
Das ist eine gute Frage. Du bist nicht der Erste, der hier reinkommt, musst du wissen.
>Nicht der Erste? Aber du bist in mir, in meinem Kopf!<
Glaubst du.
>Weiß ich.<
Sicher. 1-2-3-4-5-6-7-8-9 …
>Was soll das, was machst du da?<
Ich zähle die Sekunden …
>Lass das.<
Wilhelm hörte nicht auf mich. Es waren Sekunden, die verrannen, in denen ich in völliger Dunkelheit gelähmt, jedoch zum Denken fähig, auf eine Veränderung meines Zustands wartete und dabei wusste, dass ich immer weiter auf der
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