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Im eigenen Schatten

Im eigenen Schatten

Titel: Im eigenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Aktion wurde bereits abgebrochen und die Einheit zog sich mit gesenkten Schutzschildern zurück.
    Auch den Polizisten sah man die Erleichterung an. Keiner von ihnen mochte solche Einsätze. Bei den Gesprächen auf den Fluren der Questura war dies oft genug Thema, wenn bei kleineren Störungen keine auswärtigen Einheiten angefordert wurden. Egal welche politische Einstellung sie hatten, den Beamten gefiel es nicht im Geringsten, sich in der eigenen Stadt unbeliebt zu machen. Anders verhielt es sich bei gewalttätiger Randale oder wenn im Fußballstadion und dem angrenzenden Stadtviertel besoffene Hooligans tobten.
    Als Proteo Laurenti auf der Piazza della Borsa Marietta zum Espresso einlud, begegneten sie Enrico Dedeo, dem Kommandanten der Guardia di Finanza. Nicht zu allen Kollegen hatte der Commissario einen guten Draht, doch der Vorgesetzte der Finanzpolizei war ein sympathischer Mann, der wie er selbst in Salerno geboren war. Wann immer es von der einen oder anderen Seite nötig war, genügte ein informeller Anruf. Heute aber wirkte Dedeo verärgert und erklärte, dass er viel zu wenig Personal habe und dass die meist anonymen Anzeigen wegen irgendwelcher Steuerdelikte sprunghaft zugenommen hätten, seit rapide steigende Preise und die Steuerlast die sozialen Unterschiede deutlicher hervortreten ließen. Ob es sich um einen fehlenden Kassenbon drehte, angeblich nicht ausgestellte Quittungen eines Arztes oder Handwerkers oder der Neid die Leute antrieb, ihre Nachbarn anzuschwärzen, er musste den Denunziationen nachgehen, zumindest den schriftlichen, deren Eingang registriert war. Der Großteil der Anzeigen stamme aus dem Milieu der Denunzierten selbst.
    »Habt ihr irgendwann einmal das Imperium dieses Spechtenhauser unter die Lupe genommen? Vielleicht Unregelmäßigkeiten festgestellt, weil ihr durch Querverbindungen aus anderen Fällen auf ihn gestoßen seid?«, fragte Laurenti, nachdem sein Kollege Dampf abgelassen hatte.
    »Vor vielen Jahren einmal wurde er der Geldwäsche verdächtigt«, sagte Dedeo. »Große Beträge, die undeklariert auf seinem Konto eintrafen. Aus Kroatien und Österreich. Stets über die gleiche Bank. Er konnte es legitimieren, indem er die fehlenden Belege nachlieferte. Renditen aus ausländischen Firmenbeteiligungen. Die er allerdings nie in Italien deklariert hatte. An welchem Punkt bist du mit den Ermittlungen?«
    »Motive, ihm eins auszuwischen, hatten viele: seine Töchter, weil er sturzbesoffen einen Unfall verursachte, bei dem ihre Mutter umkam. Dann der Sohn aus erster Ehe, der seinen Vater gehasst hat und für das eigene Versagen verantwortlich macht. Seine Schuldner, denen er zinslos, aber mit Knebelverträgen Geld geliehen und sie in den Ruin getrieben hat, sobald ihre Rückzahlungen sich verzögerten. Dann die Schweinerei mit den abgelaufenen Medikamenten, die im ehemaligen Jugoslawien viele Opfer gefordert hat. Oder sein Kompagnon, den er um seine Anteile zu bringen versuchte. Spechtenhausers Raffgier war grenzenlos. Er war skrupellos. Und er war perfekt vernetzt. Außerdem wurde er von einem Anwalt vertreten, der mindestens so windig ist wie sein Kollege, der unseren Regierungschef vertritt.«
    »Da fällt mir ein, dass dieser Unterberger, der gestern Nacht in Grado verhaftet wurde, drei Jahre an der Uni Trient studiert hat, als Galimberti dort eine Assistenzstelle hatte. Er ist auf die schiefe Bahn geraten, der andere wurde später sein Strafverteidiger«, mischte sich Marietta ein. Vor zwei Vorgesetzten hatte sie mehr Respekt als vor Laurenti allein. Sie hatte gleich um acht Uhr mit Dienstbeginn die neuesten Meldungen durchgesehen, damit sie wie jeden Morgen ihren Chef aufs Laufende bringen konnte. »Und der andere, dieser Kalabrese aus Bagnara Calabra, Salvatore Cassara heißt er, hat hier an der Uni bei Professor Moser sechs Semester Physik studiert. Die beiden Lebensläufe wurden von der Sonderkommission an alle Dienststellen verschickt. Sie hoffen auf weitere Hinweise.«
    »Alle Achtung«, sagte Dedeo mit großen Augen. »Die Kollegen geben sich wirklich Mühe.«
    »Sechzig Millionen«, rief Marietta, die ihren kecken Augenaufschlag nun doch ausprobierte. »Dafür kann man sich wohl mal ins Zeug legen.«
    Die anderen Gäste am Tresen der gutfrequentierten Bar drehten sich nach ihr um. In diesen Zeiten genügte es, eine hohe Summe zu nennen, und die Aufmerksamkeit war einem sicher.
    »Geh voraus und berufe eine Abteilungssitzung ein, Marietta. Ich hoffe, dass

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