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Im eigenen Schatten

Im eigenen Schatten

Titel: Im eigenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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herunter. Kein Detail fehlte, nicht sein Schulabschluss, nicht der Rauswurf aus der Kooperative der Hafenarbeiter, nicht einmal die Disziplinarstrafen, die er sich während seinen ersten drei Inhaftierungen eingehandelt hatte. Genauso minutiös hauten sie ihm das Leben seiner Eltern um die Ohren, die Prostataoperation seines Vaters und die Altersdiabetes der besorgten Mutter. Doch kein Missklang, keine Emotionen zeichneten ihre Stimmen. Und sie ließen keinen Raum für Antworten.
    Nur der Hintergrund des Bildes auf dem Monitor, das Mimmo sich selbst vorführte, wechselte nach einer Weile. Er fuhr auf seinem Stuhl herum und starrte ungläubig auf die Wand hinter sich. Dann wieder auf den Bildschirm. Einzelaufnahmen fein gedeckter Tische, von frisch zubereiteten Speisen und köstlichen Getränken. Ein Pils mit Schaumkrone wechselte mit der Aufnahme eines dampfenden Hamburgers mit Pommes frites, auf den im Glas perlenden Prosecco folgte ein Teller mit Muscheln, dann Spaghetti und eine Karaffe Weißwein. Rotwein floss durch zwei tiefrot geschminkte Lippen, das nächste Bild zeigte ein Lammkarree mit grünen Bohnen, gefolgt von einem Teller Scampi, Muscheln und Desserts, Tiramisu und Strudel, und so weiter. Dann tauchten plötzlich zwischen den Speisen auch noch die Köpfe einiger seiner Kumpane auf. Und unablässig beutelten ihn die Kommentare und Unterstellungen der beiden Ermittler.
    »Ihr spinnt«, rief der Erzengel entsetzt. »Das habt ihr doch nur euren Weibern abgeschaut, die den Schnabel nicht einmal dann halten können, wenn ihr beim Abendessen die Fernsehnachrichten glotzt. Aber wir sind nicht verheiratet. Wollt ihr mich in den Wahnsinn treiben? Reicht doch endlich die Scheidung ein, ihr Volltrottel. Hunger und Durst habe ich auch nicht. Länger als achtundvierzig Stunden könnt ihr mich sowieso nicht festhalten. Spätestens dann haut mich mein Anwalt raus. Und ich werde euch wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verklagen.«
    Malannino, der zweimal geschieden war, hatte kurz aufgehorcht. Der Erzengel verfügte anscheinend über etwas Menschenkenntnis. Doch bevor er die nächste Phase seiner eigentümlichen Verhörtaktik einleiten konnte, trat eine dünne Polizistin ein. Sie flüsterte Malannino etwas ins Ohr und verschwand wieder.
    »Bringt ihm ein Stück dieser lausigen Pizza und ein Glas Wasser«, rief Malannino, erhob sich und verließ von Pennacchi gefolgt den Verschlag.
    Und Mimmo wartete wieder. Einmal glaubte er Laurentis Stimme zu vernehmen. Vermutlich begann er zu halluzinieren, was hatte der Commissario hier schon zu suchen?
    Der Erzengel hatte zwei gute Gründe, so lange wie möglich die Klappe zu halten. Der erste war, dass er wie die anderen auf die zweite Rate für seinen Einsatz warten musste. Einstein und der Direktor hatten sie versprochen, sobald das Gold in Sicherheit war und ihr Auftraggeber bezahlt hatte. Während des Trainings in Eraclea Mare hatten sie dies lang und breit erklärt und jedem Mitglied der Sturmtruppen die Möglichkeit gelassen, auszusteigen. Die Kohle müsste spätestens übermorgen, am Mittwoch, auf dem österreichischen Konto gutgeschrieben werden. Garantien dazu brauchte es nicht. Entwischen könnten sie nicht. Sollten sie säumig bleiben, würde ein anonymer Hinweis nach dem anderen bei den Behörden eintreffen, oder ganz offiziell, sollte einer aus der Bande bereits sitzen – so wie er jetzt. Aufgrund ihrer Vorstrafenliste riskierten die beiden Chefs mehr als die anderen. Und wer mit der Justiz einen Deal machte, hatte gute Chancen, besser davonzukommen. Außer Renzo vielleicht, dem Apulier, der einen Menschen auf dem Gewissen hatte, seit er das Begleitfahrzeug des Werttransporters von der Straße gefegt hatte. Der zweite Grund war die Gewissheit, dass man ihm als Erstem einen Handel auf Linderung des Strafmaßes vorschlagen müsste. Er war schließlich der einzige Gefangene hier, eine Schlüsselfigur. Den Spielraum dazu musste er noch ausloten, ihre zermürbenden Monologe unterbrechen und eine eigene Gesprächsführung aufbauen.
    Irgendwann vernahm er ein eigenartiges Geräusch. Auch der Uniformierte, der im Eingang zu dem Kabuff stand, schaute durch das Drahtgitter zur Decke des Hangars empor. Vereinzelte, spitze Schläge waren es zunächst, die auf die Stahlkonstruktion des Daches trommelten und im weiten Raum verhallten. Dann kehrte plötzlich wieder Stille ein, bis ein Donnerschlag sie jäh zerriss. Hagel prasselte wie Granatsplitter auf das Blechdach und

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