Im eigenen Schatten
erstickte alle anderen Geräusche. Die Arbeitsschutzverordnungen hätte Handwerkern oder Baggerfahrern bei einem derartigen Lärmpegel das Tragen von Kopfhörern vorgeschrieben. Mit den gefesselten Händen konnte der Erzengel sich nicht einmal die Ohren zuhalten.
Als er den Kopf hob, erblickte er sein Gesicht auf dem Monitor, und als wieder die Slideshow im Hintergrund ablief, begriff er, dass er nicht mehr allein war. Er beugte sich nach links und sah den dichten, gelben Schnauzbart Malanninos, er beugte sich nach rechts und starrte in die kalten blauen Augen Pennacchis.
Die gefüllten Tomaten, die Xenia nach zwei Uhr aus dem Kühlschrank nahm und im Backofen aufwärmte, hatten nichts von ihrem köstlichen Geschmack verloren. Mit einem Bärenhunger machte sie sich darüber her und schüttete dazu nicht minder gierig den Wein hinunter. Sie war erleichtert gewesen, dass Zeno nicht auf sie gewartet hatte, sondern mit langen sanften Atemzügen fest schlief. Behutsam hatte sie die Schlafzimmertür geschlossen und geduscht, während die Tomaten im Backofen schmorten. Mit einer langstieligen Wurzelbürste massierte sie sich unter dem heißen Wasser den Rücken und ließ den nicht enden wollenden Tag an sich vorüberziehen.
Um ein Haar war es ihr gelungen, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Proteo Laurenti war der Einzige, der Bescheid wusste, doch er würde schweigen. Und ihre Sorgfalt bei der Überprüfung der Hotelmeldungen musste sie nicht preisgeben, obgleich sie dafür Lob verdient hätte. Mit der Festnahme konnte sie sich freispielen. Der Vorsitzende der Sonderkommission würde die Umstände der Verhaftung erwähnen müssen.
Malannino war immer noch mit Mimmo Oberdan beschäftigt gewesen, als um halb eins die Wache an der Einfahrt zum Flughafengelände ihn informierte, dass ein Streifenwagen der Dienststelle in Grado mit zwei Gefangenen an Bord vorgefahren war. Er überließ den Erzengel Pennacchi und war dankbar für eine Unterbrechung. Die Nacht drohte lang zu werden, der Gefangene hatte dem enormen Druck bisher widerstanden und nicht die geringsten Anstalten gemacht, zu kooperieren. Seinen abstrusen Forderungen auf sofortige Freilassung glaubte er wohl selbst kaum.
Der Untersuchungsrichter kannte die Kommissarin, seit sie in Ostia Dienst getan und in Rom Fortbildungskurse belegt hatte. Als Xenia jedoch die beiden Gesuchten vorführte, stand Malannino die Überraschung ins Gesicht geschrieben. Das war ein so unerwarteter wie gewaltiger Fortschritt bei der Fahndung, auch wenn die Kommissarin gegen alle Vorschriften gehandelt hatte. Die Gangster allein festzunehmen, war riskant gewesen. Hätte sie es nicht geschafft, wären sie auf Nimmerwiedersehen über die Grenze verschwunden. Andererseits hätte Xenia alle Vorwürfe, keine Verstärkung angefordert zu haben, mit Gefahr im Verzug kontern können. Dass sie die Gangster dann auch noch zusammen im gleichen Wagen herbrachte, war ebenfalls regelwidrig gewesen. Doch lag es nicht in ihrer Hand, dass das Kommissariat in Grado notorisch unterbesetzt war und sie nachts nur über einen einzigen Streifenwagen verfügte. Ihre Karriere hätte sie bei einem Fehler auf jeden Fall in den Wind schreiben können.
Unterbergers Schritt war so unsicher und die Beule an seiner Stirn so angeschwollen, dass Malannino anordnete, ihn zur Untersuchung in die Notaufnahme des nächstgelegenen Krankenhauses zu bringen, bevor man sich näher mit ihm befasste. Cassara wurde erkennungsdienstlich behandelt und einem ersten kurzen Verhör unterzogen, bevor man ihn in eine Zelle in die Questura von Gorizia verfrachtete.
Zuvor allerdings hatte Malannino den Erzengel aus dem Verschlag holen und an den beiden vorbeiführen lassen. Mimmo erstarrte vor Schreck, als er seine Chefs vor sich sah, und wollte auf dem Absatz kehrtmachen. Undenkbar, was mit ihm irgendwann in einem Gefängnis geschehen würde, wenn Einstein und der Direktor glaubten, dass er sie ans Messer geliefert hatte. Er war so weich wie ein Mozzarella, dessen Ablaufdatum überschritten war.
»Abgeliefert!«, lautete die knappe SMS, die Xenia an Laurenti schickte, bevor sie zu Bett ging.
Im eigenen Schatten
»Occupy Trieste muss verurteilt werden. Den Demonstranten mangelt es an Respekt gegenüber den demokratischen Institutionen und Symbolen der Republik, ihr Verhalten beleidigt die Bürger. Ein paar Gewalttäter missbrauchen das Demonstrationsrecht, und dieser linke Bürgermeister lässt dies ohne Widerrede
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