Im eigenen Schatten
und durch italienische ersetzt wurden. Hotels, Restaurants und Cafés hatten eines nach dem anderen dichtgemacht. Die letzten Überlebenden im Dorf warben mit Riesenrabatten auf Alkoholika und zweifelhafte Lederwaren, während sich die Blechlawine auf der Autobahn achtlos vorbeiwälzte.
»Scheißeuropa«, knurrte Pixner, als ihm zwei Türken entgegenkamen, die erst auf die Straße flüchteten, als sie begriffen, dass der breitschultrige, glatzköpfige Mann nicht ausweichen würde. Ein paar Schritte weiter betrat er eine schmucklose Kneipe und bestellte ein Weißbier. Auf dem Tresen lag die meistgelesene Tageszeitung der Region, auch sie berichtete von dem Goldraub im Friaul. Den Mut, sie zu öffnen und sein Konterfei abgedruckt zu sehen, brachte er dieses Mal nicht auf. Jo bat darum, ein Telefonat führen zu dürfen, doch die gelangweilte Kellnerin verwies ihn auf die Autobahnraststätte, wo eine öffentliche Telefonzelle zu finden sei.
Fünfzig Meter zurück auf österreichischer Seite befand sich eine Lokalität, wo er früher mit seinen Kameraden zum »Polinnen ficken« gegangen war, wie sie es genannt hatten. Doch dieses Etablissement öffnete erst am fortgeschrittenen Abend. Jos Laune sackte in eisige Tiefen, nur fünfzig Kilometer war er noch vom Ziel entfernt, wo er endlich den dicken Briefumschlag deponieren konnte, nach dem er regelmäßig tastete. Und wo er entspannt über den gelungenen Raubzug nachdenken und eine Strategie entwickeln konnte, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Sein Magen knurrte, widerwillig stapfte er zur Raststätte hinüber. Er scheute die Reisenden, die sehr wahrscheinlich die Zeitungen gelesen oder Fernsehnachrichten gesehen hatten. Doch bevor er eintrat, tat sich eine unerwartete Lösung auf. Die halb geöffnete Fahrertür eines gelben Kleinwagens mit deutschem Kennzeichen zog seinen Blick an. Der Schlüssel steckte, und fünfzig Meter weiter stritt der noch sehr junge Fahrer lauthals mit seiner Freundin, die ihn heulend und laut schluchzend anbrüllte, dass er ein mieses Schwein sei, das nur anderen Weibern nachschaue. Jo Pixner sah mit einem Blick in den Rückspiegel, dass sie den Diebstahl ihres Wagens noch nicht bemerkt hatten, als er auf die Autobahn einbog.
»Im Autoradio wurde soeben gemeldet, dass Ratko Mladić, einer der meistgesuchten Männer der Welt, gefasst wurde. Er konnte sich fast sechzehn Jahre der Verhaftung entziehen. Die Serben wollen sich der Europäischen Union annähern, und auf einmal geht’s«, sagte Živa Ravno aufgeregt.
Sie trug ein perfekt sitzendes, sommerliches Kostüm und ein cremefarbenes dezent ausgeschnittenes Top. Sie strahlte, als sie Laurenti umarmte, der nicht wusste, ob ihre gute Laune der Nachricht der Festnahme des »Schlächters vom Balkan« zu verdanken war, wie der Kriegsverbrecher von der Presse genannt wurde, oder weil sie sich über das Wiedersehen freute.
»Am Ende macht Geld alles möglich. Irgendjemand hat nicht mehr für ihn bezahlt, oder es springt jetzt mehr dabei raus, wenn man ihn ausliefert.« Laurenti küsste die kroatische Oberstaatsanwältin auf die Wangen. »Als Erstes wird Serbien Zugang zu den EU-Fonds bekommen. Milliarden. Zukünftige Geschäfte. Weder die Amerikaner noch die Franzosen, die Deutschen und die Russen können mir weismachen, dass sie all die Jahre seinen Aufenthaltsort nicht kannten.«
»Ich kann dir ein Lied davon singen«, erwiderte die Staatsanwältin sarkastisch. »Wie im Fall Ante Gotovina, der vom Klerus gedeckt wurde. Seine Verhaftung auf Teneriffa war geschickt eingefädelt, sodass sie nicht zu Hause stattfinden musste. Unsere Beitrittsverhandlungen mit der EU haben am Tag darauf begonnen. Dabei hat man in Rumänien und Bulgarien die alten Schergen nicht einmal angetastet.«
Živa Ravno und Proteo Laurenti hatten sich zuletzt vor mehr als vier Jahren gesehen und nur sporadisch und nur dienstlich miteinander telefoniert. Doch nie hatte es langer Anläufe bedurft, obwohl sich das Verhältnis zwischen ihnen einst brüsk abgekühlt hatte. Živa hatte damals, zusammen mit der Nachricht über ihre Beförderung zur Sektion gegen organisierte Kriminalität nach Zagreb, Laurenti auch gleich den Laufpass gegeben. Vier Jahre hatte ihre Affäre gedauert, während der sie sich meist in Hotels entlang der istrischen Küste trafen. Sie hatten im Mittelpunkt unzähliger Gerüchte gestanden, ohne dass die Schwatzbasen sich jemals auf handfeste Beweise stützen konnten. Dabei hatten sie doch nur die
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