Im Fadenkreuz der Angst
kein Nachbaraufregen, wenn wir nachts Lärm machen.« Andy rollt mit seinem Stuhl nach hinten. »Zum Angeln setzen wir uns auf die Reifen, die an dem kaputten Steg hängen, wir besaufen uns – jedenfalls Marty und ich – es wird einfach super. Sammy, du machst dann den Steuermann.«
»Echt? Ich soll ans Ruder?«
»Klar doch. Ich zeig dir, wie’s geht. Kein Ding. Aber he, die Einsiedlerinsel ist geheim. Nicht weitersagen, klar?«
»Klar!« Ich tu so, als würde ich gegen den Bildschirm boxen, und lache.
Eine Einsiedlerinsel! Ein Boot steuern! Ich kann’s kaum erwarten.
Und jetzt kann ich nicht einschlafen.
Es ist drei Uhr morgens. Ich bin total aufgedreht. Ich freu mich auf Andys Ferienhaus. Aber gleichzeitig habe ich Muffe wegen Dad. Meine Eltern sprechen sich immer ab, wenn es um mich geht. Diesmal hat Mom alleine entschieden. Wenn Dad das nun erfährt?
Na und? Mom und ich machen das ja nicht heimlich, oder? Ich meine, sie hat mir schließlich nicht verboten, es ihm zu sagen, oder? Und wenn es wirklich wichtig wäre, hätte sie es ihm ja wohl gesagt. Ach ja? Nach dem Streit?
Aber egal – wie sollte er das überhaupt mitkriegen? Ich komme Sonntag zurück und er ist bis Montag weg. Und wenn er anruft, kann Mom sagen, ich bin nicht da oder im Bett. Trotzdem …
Vielleicht sollte ich es ihm sagen, bevor er losfährt.Nein, das ist zu spät. Dann wird er sagen, wir hätten das Ganze hinter seinem Rücken arrangiert oder ich hätte Mom was vorgegaukelt. Und die Erlaubnis würde sofort kassiert werden. Keine Frage, bei der Stimmung nach dem Essen. Beim Abendgebet hätten wir uns am liebsten sonstwohin verkrümelt. Keiner hat den anderen angeguckt. Und hinterher haben wir uns nicht mal Gute Nacht gesagt.
Ich höre jemanden oben in der Küche. Es ist Dad. Er läuft auf und ab und murmelt Koranverse über Frieden, Gerechtigkeit und Gnade. Das kann ich hören, weil ich meine Zimmertür offen gelassen habe, damit ich mitkriege, ob Mom und er sich im Schlafzimmer streiten. Der Küchenschrank wird auf- und wieder zugemacht. Dann der Kühlschrank. Dann die Besteckschublade. Bestimmt rührt sich Dad einen Löffel Sirup in ein Glas Milch.
Ich gehe aus meinem Zimmer und hocke mich auf die unterste Treppenstufe. Ich höre Dad einen Stuhl vom Tisch abrücken, weil er sich setzen will – er würde niemals einen Stuhl einfach zu sich ranziehen, denn das würde den Küchenfußboden zerkratzen, wie er sagt. Ich höre den Löffel im Glas klirren und auf der kleinen Untertasse klappern, wo Dad ihn immer ablegt. Und dann höre ich ein tiefes Ächzen, als hätte Dad Mühe beim Atmen.
Ich gehe die Treppe rauf und bleibe an der Tür stehen. »Dad?«
Er schreckt zusammen. »Sami?«
»Ich musste pinkeln. Ich dachte, ich hätte was gehört.«
Er versucht ein Lächeln. »Das war nur ich mit meiner Milch. Geh zurück ins Bett.«
»Kann nicht schlafen.«
»Geht mir auch so.«
Ich stehe da und weiß nicht, was ich tun soll. Dann gehe ich um den Tisch rum und lasse mich auf den Stuhl ihm gegenüber gleiten. Dads Augen sind rot.
Er spürt meinen Blick. »Was ist?«
»Nichts.« Peinlich berührt schaue ich schnell zu dem Kalender neben dem Kühlschrank.
Stille.
Ich überlege, was ich sagen könnte. Mir fällt nichts ein. Dad auch nicht. Also sagen wir nichts. Sitzen bloß da und schweigen, endlos lange, wie mir scheint.
Schließlich sagt Dad: »Also, wegen dem Wochenende … kommst du damit klar?«
Ich zucke die Achseln. »Wir können die Yankees ein andermal sehen.«
»Gut.« Er räuspert sich. »Vielleicht kannst du dich ja mit deinen Freunden treffen, inschallah. Was Schönes machen.«
Ich winde mich ein bisschen. »Klar. Mal sehen.«
Dad streckt den Arm aus. Er packt meine Hand. »Sami …« Seine Kehle ist so trocken, dass ihm die Worte kaum über die Lippen kommen. »Sami, es gibt Dinge, über die ich nicht reden kann. Dinge, die ich nicht erklären kann. Verstehst du das?«
»Ich glaub schon.«
»Gut.« Dad drückt meine Hand noch einmal. Seine Knöchel sind weiß. »Jetzt geh ins Bett zurück. Schlaf ein bisschen.«
Am Treppengeländer drehe ich mich um. Dad schaut mir mit gequältem Blick nach. Ich möchte sagen, ich hab dich lieb, bringe es aber nicht fertig. Er verabschiedet mich mit seinem künstlichen Lächeln und dem kurzen, steifen Winken.
Ich verschwinde in der Dunkelheit.
5
Als ich aufstehe, ist Dad schon weg.
Mom und ich verrichten das Morgengebet, dann essen wir schnell ein paar
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