Im falschen Film 1
leider keine Handynummer, weswegen ich Tom an diesem Abend googelte und ihm eine unverfängliche Merry-Christmas-Mail an seine Firmenadresse schickte. Als darauf keine Reaktion kam, probierte ich es in meiner Verzweiflung einen Tag nach einem unfassbar trostlosen und einsamen Weihnachtsfest sogar auf seinem Festnetz. Es ging nur der Anrufbeantworter dran. Eine wirklich süße Ansage von Aiden und Ava. Ein Traum. Für mich ein Alptraum.
War er verreist? Klar, das konnte sein. Die Reha seiner Frau war nicht in Berlin, vielleicht besuchten sie Viktoria dort.
Luna war mir auch keine Hilfe. Sie fuhr wie jedes Jahr ihre „bescheuerte“ Familie im Rheinland besuchen, verbrachte dort Weihnachten und Silvester.
„Was bist du für eine beste Freundin?“, meckerte ich am Telefon, als sie mir von den schrägen Abenden in Köln erzählte. „Ich denke ernsthaft drüber nach, mir jemand anderen zu suchen.“
„Och, Süße, das tut mir leid. Im neuen Jahr wird alles anders. Mach bloß keinen Blödsinn!“
Das hätte ich wahrscheinlich auch nicht getan, wenn sie da gewesen wäre. Oder irgendjemand, mit dem ich hätte reden können. Aber ich hatte niemanden. Und wollte nicht mehr warten. Ich wollte das alte Jahr – das Jahr Nummer Eins meines neuen Lebens – nicht hinter mir lassen, ohne zu wissen, was mit Tom war. Ich brachte es tatsächlich zustande und ging an einem trüben Winterabend „zwischen den Jahren“ an dem Haus vorbei, in dem er wohnte. Der Name seiner Familie stand bei den Klingeln im fünften Stock des schicken Neubaus, den die Nachbarschaft mit zahlreichen Farbbomben begrüßt hatte. Für einige mehr oder weniger alteingesessene Kreuzberger lief das Haus wohl unter „Gentrifizierung“. Ich fand es eigentlich ganz schön mit den großen Fenstern und den warmen Farben. Eins sah man bereits von außen: In der Wohnung im fünften Stock brannte Licht. Jemand war zu Hause.
Als ich fast nicht mehr meine Finger vor Kälte spüren konnte, weil ich schon so lange um das Haus herumgeschlichen war, sah ich Tom. Nur kurz war seine Silhouette mit einem Kind auf dem Arm am Fenster zu sehen, aber ich erkannte ihn sofort. Er schloss die Vorhänge – es war wohl Schlafenszeit für die Kinder. Sie waren also nicht verreist.
Er ging aber auch an diesem Abend nicht ans Telefon. Meine Verzweiflung nahm absurde Ausmaße an. Ich ging in der schlaflosen Nacht alle möglichen und unmöglichen Pläne durch, wie ich Kontakt zu ihm aufnehmen konnte. Sie immer wieder verwerfend, weil es doch so offensichtlich war, dass er keinen Kontakt mehr zu mir wollte. Doch irgendwann siegte die Unvernunft.
13
Am nächsten Morgen fing ich an, sein Haus zu belagern. Ich hockte mich in eine kleine Espressobar auf der anderen Straßenseite und beobachtete das Haus genau. Der Plan war simpel: Sobald er rauskam, wollte ich ihm zufällig über den Weg laufen. Warum sollte ich nicht in der Gegend unterwegs sein? Das wirkte dann nicht so psychopathisch. Aber der Plan scheiterte. Doch, Tom verließ das Haus an diesem Tag. Sogar zweimal. Aber mit dem Auto. Die große moderne Familienkutsche kam aus der Tiefgarage unter dem Haus hervor und verschwand nach der jeweiligen Rückkehr auch dort wieder – das Gittertor hinter sich schließend, um mir deutlich zu machen, dass ich auf diesem Weg ganz sicher keine Chance hatte, an ihn heranzukommen. Die Bedienung in der Espressobar wechselte schon zum zweiten Mal an diesem Tag und man beäugte mich äußerst skeptisch, weswegen ich viel zu viele Espressos bestellte.
Entsprechend aufgeputscht war ich, als es längst dunkel war und ich wieder zusehen musste, dass Tom die Kinder ins Bett brachte. Ich war sauer. Ich hatte das Gefühl, dass er ein Spiel mit mir spielte. Dabei konnte er natürlich gar nicht wissen, dass ich dort unten saß.
Als dann auch noch die Espressobar schloss, fand ich mich vor seiner Haustür wieder. Ich sah seinen Namen, die Klingel, daneben das kühle Auge einer Videogegensprechanlage. Das gefiel mir nicht: Hilflos vor dem Haus zu stehen und um ein Wort von ihm zu betteln, während er da oben in Sicherheit war und mein Gesicht lesen konnte. Ich wollte schon aufgeben, um am nächsten Tag – Silvester – einen neuen Versuch zu starten, da sah ich ein Fahrzeug aus der Tiefgarage kommen. Es fuhr davon. Das Gittertor stand offen. Es war nur wenige Meter von mir entfernt. Ich starrte es an. Felsenfest davon überzeugt, dass es eine ganz schlechte Idee wäre, einfach vor seiner Wohnungstür
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