Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
I
    Sie schaukelte auf der Dünung, tauchte weg, wenn die Wellen, sich überschlagend, an Land rollten, ritt auf den Wellenkämmen und wurde zusammen mit abgerissenem Tang, einem Kistenbrett, einer Coladose, Bananenschalen, zwei angefaulten Äpfeln und drei Blauquallen auf den Sand gespült: eine ganz gewöhnliche, weiße, jetzt von grünbraunen Algen glitschig überzogene Limonadenflasche mit einem Klemmverschluß.
    In der Nacht hatte es gestürmt. Dröhnend hatte die Flutwelle der Nordsee den Oststrand von Norderney überrannt, die zu nahe ans Meer gebauten Strandburgen niedergerissen und den Boden wieder geebnet. Man kannte das hier auf der Insel. Von Radio Norddeich war die Sturmwarnung rechtzeitig gekommen. Die Strandwärter hatten die Strandkörbe in die schützenden Dünen geschleppt und die Attraktion des Oststrandes – die alten, bunten Badekarren – weggeschoben.
    Das Meer eroberte den Strand mit urweltlichem Getöse.
    Nun, am Morgen, lag die See glatt unter der noch milchigen Sonne. Lars Lüders war schon um fünf Uhr aufgestanden, um seine Arbeit zu tun: die Säuberung des Strandes, bevor die ersten Kurgäste mit Luftmatratzen, Liegestühlen, Fahnen, Ballons, Kofferradios und aufblasbaren Gummitieren kamen, ihre zerstörten Burgen wieder besetzten, als eroberten sie Feindesland, sich wieder eingruben in den weißen Sand, hohe Wälle schaufelten, ihre Bollwerke mit Muscheln kennzeichneten, sie ›Köln‹, ›Darmstadt‹, ›Wanne-Eickel‹ oder – sehr persönlich – ›Villa Mathilde‹ und ›Kleine Möwe‹ nannten, an Bambusstangen (beim Strandwärter zu leihen oder je nach Größe von 4, – DM bis 7, – DM zu kaufen) die deutsche Fahne hißten und mit den Kindern aus den Nachbarburgen Krach begannen, wenn diese beim fröhlichen Spiel dem Kunstwerk des Sandwalles und der Ordnung im Festungsbetrieb zu nahe kamen. Dann zeigte sich der Deutschen Begabung für Angriff und Verteidigung und ihre seelentiefe Verwurzelung mit erobertem Lebensraum.
    Jetzt, in dieser frühen Stunde, waren Meer und Strand von einer überwältigenden Stille und Schönheit.
    Lars Lüders schlurfte mit einer wannenartigen Eisenkarre durch den feinen weißen Sand und kehrte den angespülten Meeresmüll weg. Ein paarmal blieb er stehen, sortierte Schwemmholz aus, das noch zu gebrauchen war, setzte sich dann nach einer jeden Morgen genau berechneten Wegstrecke in einen der Strandkörbe, rauchte eine Pfeife und blickte über das Meer.
    Diese Minuten der Ruhe waren jeden Morgen die schönsten des Tages. Er war allein mit seinem Meer. Allein mit dem weiten Himmel. Allein mit der Erinnerung.
    Das mit der Erinnerung war so eine Sache für sich.
    Bis vor zehn Jahren war er noch selbst zur See gefahren, mit einem Bananendampfer von der Karibischen See bis Bremerhaven. Immer hin und zurück, immer Bananen, manchmal auch ein paar Passagiere, die die Romantik eines Trawlers genießen wollten und verdammt harte Arbeit mit fröhlichem Seemannsleben im Stile der ›Haifischbar‹ verwechselten.
    Dann kam der neunte Oktober. Lars Lüders fiel im Hafen von Port of Spain von einem Ladebaum, brach sich dreimal das linke Bein und vier Rippen und wurde auf Kosten der Reederei zurück nach Bremerhaven geflogen.
    Die große Reise über die Meere war für ihn vorbei.
    Damals rannte er von Arzt zu Arzt, beschäftigte auf eigene Kosten, von seinem ersparten Geld, eine Reihe von Knochenexperten, schaltete in einem Anflug von sturem Gerechtigkeitssinn sogar das Seeschiffahrtsamt ein, kämpfte verbissen um seine Lebensaufgabe – die Bananenroute Karibische See - Bremerhaven – belästigte jedes zuständige Amt, das sich erstaunlicherweise dann als nicht zuständig entpuppte. – Aber alles Rennen und Untersuchen, alle Aufenthalte in den Kliniken, fachärztliche Gutachten und ein Berg von Eingaben und Beschwerden halfen nichts. Lüders hinkte – und auch in der modernen christlichen Seefahrt ist ein hinkender Matrose so etwas wie ein blinder Flieger.
    Mit zweiundfünfzig Jahren amtlich anerkannter Invalide, kehrte er nach Norderney zurück, fuhr ein Jahr lang mit einem geerbten Krabbenfänger hinaus ins Watt, nur um den Klugscheißern in den Ämtern zu beweisen, daß ihn keine Welle umwarf und er mit seinem lahmen Bein genauso fest auf Deck stand wie die jungen Rotznasen. Aber auch das mißlang eines Tages … bei völlig ruhiger See, einer See, bei deren Anblick man gähnen kann und die Augen schläfrig werden, rutschte er auf den Planken aus, auf

Weitere Kostenlose Bücher