Im Glanz Der Sonne Zaurak
seine Stellung nicht verändert, immer noch liegt er halb aufgerichtet und auf die angewinkelten Unterarme gestützt. Nur der Ausdruck seines Gesichtes hat sich etwas gewandelt. Das seltsame Lächeln weicht unmerklich einem wehmütigen, traurigen Zug. Sie rufen ihn wieder: „…Leander…, Leander…“, klingt es wispernd in seinen Gedanken. Fasziniert lauscht er den Stimmen, die wie wä r mende Sonnenstrahlen in ihn dringen, rufen und locken, locken…
Vergeblich hat er versucht, die Richtung zu ergründen, aus der sie kommen. Dem Licht gleich, erfüllen sie den Raum, sprechen aus den Wänden zu ihm, aus dem Fußboden, aus der Stille, aus ihm selbst: „…Leander…, Leander…“ Tausend flüsternde Stimmen. Sie tasten nach seinen Gedanken, übert ö nen sie, decken sie zu wie frisch gefallener, glänzender Schnee. Und unaufhörlich rieseln sie als weiße zarte Flocken auf ihn herab. Seit Stunden schon lauscht er gebannt ihren schme i chelnden Rufen, spürt nicht, wie der Rücken steif wird und die Finger in kalter Gefühllosigkeit erstarren. Sein Körper existiert nicht mehr: All die Gedanken werden von dem fernen Rufen umgaukelt.
„Wer seid ihr?“ fragt Leander kaum hörbar. Er sieht nicht, wie Dr. Pinn kurz aufschreckt und dann wieder den Kopf in die Hände stützt.
Leander sieht ganz andere Dinge: unendlich lange Stollen mit leuchtenden Wänden, die sich tief unter die Oberfläche des Planeten hinabwinden, Scharen aufflatternder Ariels, die sich pfeifend in die Wolken hinaufschwingen, und große kluge Augen, deren Blicke in ihn dringen. Hunderte, ja Tausende von schwarzglänzenden, handtellergroßen Augen, aus denen Vertrauen und Freundschaft leuchten… „Wer seid ihr?“ wiederholt er atemlos.
Die Stimmen verwirren sich, sie hasten durcheinander und senken sich als ein Teppich mit fremdartigen, unfaßbaren Ornamenten auf ihn nieder, ein aus Stimmen und Tönen gewebter Teppich. Es ist, als könnte er sie sehen, ein seltsames Muster bilden sie, und ein Zeichen in diesem magischen Gewirr kommt ihm bekannt vor. Mehr fühlt er das Wort, als er es sieht oder hört: „Wir…“
Noch sieht er alles wie durch wallende Schleier, alles ändert unaufhörlich seine Gestalt, fließt auseinander, zerbröckelt. Da ist es wie ein Schrei in seinen Gedanken, der den Teppich zerreißt: „Wir!“
„Was wollt ihr von mir?“ Ihm ist, als hätte er gar nicht gefragt, sondern nur gedacht. Aber der Gedanke war so plastisch, so hörbar, daß er es noch gar nicht fassen kann.
Wieder verknäueln sich die Stimmen ineinander, wirbeln durcheinander wie Schneeflocken im Sturm. Dann spürt er, wie die Antwort wie in Stein gemeißelt aus dem Inferno hervortritt. „Dich!“ Noch klarer, noch deutlicher hört er das Wort. Nicht mehr wie aus weiter Ferne, sondern so, als stünden sie neben ihm, als wären sie in ihm.
Sein Wille fällt von ihm ab wie schmelzendes Eis, und er hört sich staunend fragen: „Was soll ich tun?“
„Antworten!“ fordern sie einmütig. „Antworte uns!“
Leander läßt sich zurücksinken und schließt die Augen. Nun sieht er sie ganz deutlich, ihre glänzenden Leiber, die wie brünierter Stahl schimmern, ihre kräftigen Kiefer und die großen dunklen Augen. Wie kommt es, daß ich mich nicht fürchte, fragt ihn sein erlöschender Wille; weshalb fühle ich mich so wohl und frei? „Ich antworte euch.“
Mit aller Macht dringen die Stimmen in ihn. „Weshalb tötet ihr den Wald?“ Aus der Frage klingt Verzweiflung.
Leander will antworten, aber er fühlt ganz deutlich, daß sie ihn nicht verstehen.
„Wenn ihr den Wald tötet, so sterben auch die Schweigenden Engel!“
Wieder dieser seltsame Name. Doch diesmal löst er in ihm ein Gefühl aus, eine Empfindung. Etwas Weiches, Flauschiges. Wie ein Blitzstrahl fährt die Erkenntnis durch sein Gehirn: die Ariels! Sie sind die Schweigenden Engel!
„Wenn die Ariels sterben, werden auch wir zugrunde g e hen!“
Plötzlich erwacht in ihm der brennende Wunsch, den Ariels zu helfen. Wie Feuer brennt es in seinem Herzen, als in seiner Erinnerung die Bilder der stürzenden Baumstämme und der tödlich getroffenen Ariels, die wie welkes Laub vom Himmel torkelten, aufblitzen.
„Komm!“ fordert der tausendstimmige Chor. „Komm! Hilf uns, die Schweigenden Engel zu schützen! Komm…, komm…“
Einem Schlafwandler gleich, erhebt sich Leander. Seine Lider sind halb geschlossen, er wagt nicht, die Augen ganz zu öffnen, die wunderbaren Bilder könnten
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