Im Glanz Der Sonne Zaurak
wiedergutmachen…
„Da, es fängt an, genauso, wie wir es befürchtet haben!“ sagt Viktor mit brüchiger Stimme und beugt sich zum Bildschirm vor.
Unmerklich beult sich die Membran des Einzellers an ve r schiedenen Stellen aus. Wie eine Amöbe wechselt er seine Form, stülpt fingerartige Fortsätze aus, die blind umhertasten. Wie ein kleiner Krake kriecht Lanzett X durch das Gesichtsfeld des Beobachtungsgerätes.
Es besteht kein Zweifel mehr. Lanzett gönnt ihnen keine Verschnaufpause. Auch im menschlichen Körper setzt das Wesen seine unheimliche Metamorphose fort. Wird sich nun das pilzartige Geflecht bilden und dann – Nervengewebe wie bei den Asseln?
„Es ist zum Kotzen! Wir sitzen da und können nichts tun, nur zuschauen, was für Kunststückchen dieser scheußliche Einzeller uns vorführt. Bist du mit der Dekodierung der DNS immer noch nicht weiter gekommen?“ fragt Viktor ärgerlich.
Gilbert schüttelt traurig den Kopf. „Ich kann machen, was ich will. Synthetische Immunoglobuline stören Lanzett nicht, das können wir aufgeben. Und in sein genetisches Material einzudringen ist schwerer, als du glaubst. Lanzett findet gegen alle Versuche, seine Nukleinsäure zu spalten, einen Abweh r mechanismus! Immerzu bildet es irgendein Enzym, das meine chemischen Attacken wirkungslos macht, oder es schützt seine gefährdeten Gene einfach, indem es sie in Molekülketten hüllt, deren Struktur mir noch unklar ist.“
„Wir kommen nur über das genetische Material an Lanzett X heran“, sagt Viktor eindringlich.
„Das ist so, als wollte jemand einem Mann, der sich mit dem Trilobit in einen Granitberg hineingebohrt hat, ein bestimmtes Haar ausreißen…“, antwortet Gilbert hoffnungslos.
Der Einzeller streckt seine Auswüchse immer mehr. Seine Form ähnelt nun einem von unsicherer Kinderhand gekrakelten Weihnachtsstern, aber die Zacken dieses lebenden Sterns bewegen sich, tasten, suchen nach den Fortsätzen seiner Artgenossen oder – nach den Dendriten menschlicher Nerve n zellen!
Viktor spricht es aus: „Was wird geschehen, wenn Lanzett X Kontakt zu den Nervenbahnen herstellt… Den Asseln schadet das offenbar nicht, aber wie wird ein so hochentwickeltes Nervensystem wie das menschliche darauf reagieren?“
„Wer kann das wissen.“ Gilbert starrt gedankenverloren auf ihren winzigen und doch so unangreifbaren Gegner. „Ich glaube, wir haben noch eine Chance“, sagt er nachdenklich.
In Viktors Gesicht leuchtet ein Hoffnungsschimmer auf. „Welche?“ fragt er kurz.
Gilbert holt tief Luft und antwortet: „Wir wissen, daß Lanzett X im Organismus der Asseln nach Vollendung seiner Met a morphose innerhalb kurzer Zeit abstirbt und daß sich die Asseln durch ihre Freßgewohnheiten immer wieder neu infizieren. Die Männer unterliegen keinesfalls der Gefahr einer Neuinfektion. Wenn sich Lanzett auch in diesem Fall nach Abschluß seiner Entwicklung selbst vernichtet?“
„Wir können doch nicht tatenlos zusehen und auf ein Wu n der hoffen!“ entgegnet Viktor unsicher.
„Wir sehen nicht tatenlos zu!“ widerspricht Gilbert. „Wir machen weiter. Aber letztlich wird es wohl darauf hinausla u fen, daß wir uns mit der Suche nach einer anderen Lösung nur die Wartezeit verkürzen…“
Leander fühlt sich unwohl. Körperlich geht es ihm gut. Er hat wieder zugenommen, und die Kräfte kehren zurück. Doch frisch fühlt er sich keineswegs. Eine seltsame Unruhe hat Besitz von ihm ergriffen. Verworrene Träume narren und plagen ihn in den wenigen Stunden, die er schlafen kann. Noch lange nach dem Erwachen geistern die Trugbilder durch sein Bewußtsein. Eben noch ist er vor dem Vater davongerannt, der ihn – auf dem Rücken einer Assel sitzend – verfolgte, mit glühenden Apfe l sinenstücken nach ihm spuckte und dabei rief: „Wirst du wohl die Ariels in Ruhe lassen!“
Zwei-, dreimal gebrauchte er für die Ariels auch ein anderes Wort, es klang undeutlich und war kaum zu verstehen. Und seltsam hörte es sich an: „Schweigende Engel…“
Noch immer muß Leander an diese Worte denken, an diesen Namen. Wie ein Flüstern, ein leises, aber vieltausendstimmiges Flüstern, hallt es in seinem Gedächtnis nach. Schweigende Engel.
„Leander…“
Er hebt den Kopf und sieht sich um. Die Gefährten schlafen noch. Einer von ihnen muß im Traum gesprochen haben. Ob es ihnen genauso geht wie ihm? Leiden sie auch unter diesen Alpdrücken, diesen schrecklichen Fieberphantasien, die ihn bis in das Erwachen
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