Im Hauch des Abendwindes
sein Fahrzeug und fuhr davon.
Ruby sah ängstlich den schwarzen Hengst an, der ungestüm den Kopf hin und her warf und an dem Führstrick riss. »Brrr! Ruhig, ganz ruhig!« Sie schlang den Strick um einen Pfosten an der Veranda.
»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist«, sagte Myra besorgt. Sie sah im Geist schon, wie der feurige Hengst davonstürmte, ihre Veranda mitriss und einen Teil ihres Hauses wahrscheinlich mit dazu.
»Ich auch nicht«, sagte Ruby, »aber ich habe Angst, er schleift mich bis nach Broken Hill zurück.«
»Was in aller Welt hast du denn mit dem Pferd vor?«
»Ich will es Jed schenken. Weißt du, wo ich ihn finden kann?«
»Im Pub, denke ich. Und wenn er noch nicht da ist, wird er bestimmt bald kommen. Er ist erst vor einer Woche aus Alice Springs zurückgekommen, und seit eurer Abreise ist eine Menge passiert. Da gibt es viel zu erzählen.«
»Vor einer Woche erst!«, sagte Ruby verwundert.
»Ja, Silver Flake musste nach ihrer Operation geschont werden. Sie war nicht transportfähig, und da ist er in Alice Springs geblieben und hat dort gearbeitet, bis die Stute wieder fit war. Du weißt, dass sie operiert worden ist?«
Ruby nickte. »Ja.«
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie schockiert wir waren, als wir hörten, dass sie nach dem Rennen zusammengebrochen ist.« Myra seufzte. »Für dich war es sicher auch schlimm, oder?«
»Schlimm ist gar kein Ausdruck. Ich dachte, sie sei tot. Ich habe erst vor einigen Tagen aus einem Zeitungsartikel erfahren, dass sie noch am Leben ist.«
»Oh«, sagte Myra verdutzt. »Ich dachte, du seist mit Jed in Verbindung geblieben.«
»Nein. Das ist eine lange Geschichte, Myra.«
Der Hengst tänzelte nervös und zerrte nach wie vor an dem Führstrick. Den beiden Frauen war gar nicht wohl in ihrer Haut.
»Hast du zufällig Äpfel da, Myra?«
»Zufällig ja, weil ich morgen einen Apfelkuchen backen wollte.« Myra ging ins Haus und kam mit einer Tasche rotbackiger Äpfel zurück. »Wie viele willst du?«
»Alle, wenn’s geht.« Ruby nahm einen Apfel heraus und hielt ihn dem Hengst hin. »Na, hast du Hunger, mein Junge?«
»Woher hast du ihn eigentlich?«
»Aus Melbourne«, antwortete Ruby einsilbig.
»Hast du die letzten Wochen dort gelebt?«
»Nein, ich habe meine Mutter besucht«, antwortete Ruby ausweichend. Sie band den Führstrick von dem Verandapfosten los. »Kommst du mit, Myra? Ich werde mich mal zum Pub aufmachen.«
»Na klar.«
Ruby lockte den Hengst den ganzen Weg über mit kleinen Apfelstückchen. Ein Glück, dass er hungrig war und dass er Äpfel mochte. Als das Silverton Hotel in Sicht kam, begann Rubys Magen vor Aufregung zu kribbeln.
»Na, komm schon, mein Junge, so ist’s brav«, redete sie beruhigend auf das Pferd ein. »Wie geht’s Charlie?«, fragte sie dann.
Myra strahlte. »Viel besser, Gott sei Dank. Er nimmt jetzt andere Medikamente gegen seine Epilepsie, sodass er auch mal wieder beruhigt ein Glas trinken kann.«
»Das freut mich für ihn.« Ruby sah ihre Freundin prüfend an. »Du magst ihn, nicht?«
Nun war Myra diejenige, die eine klare Antwort schuldig blieb. »Du wirst staunen, wenn du zu mir kommst. Du wirst mein Haus nicht wiedererkennen!«
»Wieso das denn?«
»Ich habe meine Sammlung dem neuen Museum geschenkt, das Roy Holloway eingerichtet hat. Jetzt habe ich so viel Platz, dass ich gar nicht weiß, was ich damit anfangen soll.« Sie warf Ruby einen raschen Blick zu und fuhr dann fort: »Charlie dachte, da würde sich etwas anbahnen zwischen Roy und mir. Eines Abends stand er plötzlich vor meiner Tür, geschniegelt und gebügelt, und hat mich auf einen Drink in den Pub eingeladen.«
»Das ist ja wunderbar«, sagte Ruby erfreut.
»Seitdem hab ich ein paar Mal für ihn gekocht.« Myra lächelte verlegen. »Er kann nicht besonders gut kochen, deshalb hat er meine Einladungen mit Freude angenommen.«
Ruby grinste. »Das kann ich mir vorstellen. Und? Waren es romantische Abende?«
Myra wurde rot wie ein Schulmädchen. »Red keinen Unsinn. Wir sind zu alt für Romantik.«
»Dafür ist man nie zu alt, Myra«, erwiderte Ruby.
Myra war die Unterhaltung unangenehm. »Nächste Woche zieht ein neuer Lehrer hierher«, sagte sie, um das Thema zu wechseln.
Ruby guckte sie erstaunt an. »Und was ist mit Helen passiert?« Sie holte noch einen Apfel aus der Tasche und hoffte, dass sie bis zum Pub reichten.
»Sie ist immer noch an der Schule, aber die vielen neuen Schüler kann sie nicht allein
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