Im Hauch des Abendwindes
Zweck mit dem Zeitungsartikel verfolgt.
»Bist du sicher, dass das Risiko für dich nicht zu groß ist?«, fragte Ruby ihren Vater, als sie das Gelände des Pferdehändlers William Inglis and Son in Oakland, dreißig Kilometer nördlich von Melbourne, betraten. Auf über vierzig Hektar konnten bis zu sechshundert Pferde untergebracht werden. Tags zuvor waren bereits die besten und teuersten Vollblüter versteigert worden. Die Pferde, die jetzt noch da waren, hatten aus irgendwelchen Gründen keinen Käufer gefunden.
»Guck mich doch an«, erwiderte Joe. »Kein Mensch würde mich wiedererkennen. Ich sehe wie ein Landstreicher aus und nicht wie Joe Jansen, der frühere millionenschwere Bauunternehmer.«
Ruby musste lächeln. Da hatte er allerdings Recht. Er hatte sich die Sachen für seine Verkleidung in der Kleiderkammer der Heilsarmee gekauft.
»Stimmt. Eigentlich möchte ich nicht mit dir gesehen werden.«
»Vielen Dank.« Joe kratzte sich seinen unrasierten Hals. Seinen Bart hatte er wuchern lassen, sodass er richtig ungepflegt aussah.
Ruby knuffte ihn liebevoll in die Seite.
Sie fand schnell heraus, dass ihr Vater eine ganze Menge von Pferden verstand.
»Die hier ist hübsch«, sagte sie und bewunderte eine Fuchsstute mit weißer Blesse und vier weißen Fesseln.
Joe schüttelte den Kopf. »Das Aussehen ist nicht das wichtigste Kriterium. Viel wichtiger sind Abstammung, Anatomie, Charakter.« Anhand der Versteigerungsnummer überprüfte er in seiner Informationsbroschüre die Angaben zu dem betreffenden Pferd. Ihm gefiel nicht sonderlich, was er las. Er strich mit beiden Händen über den Rücken und die Kruppe des Pferdes. »Siehst du, wie sie zittert? Das deutet auf körperliche Schäden hin.«
Ruby staunte.
Joe ging weiter und begutachtete ein Pferd nach dem anderen. Er sprach von Überbelastung der Gelenke, Wirbelsäulenarthritis, Muskelverhärtungen, Bänderüberdehnung, Knieproblemen und von Spat. Ruby verstand kein Wort.
»Woher weißt du das alles?«, fragte sie, als sie ihrem Vater von Box zu Box folgte.
Er blieb bei einem Pferd stehen, betrachtete es eingehend, las die Informationen über das Tier und sagte: »Ich habe eine Menge Zeit mit Pferden und Trainern verbracht. Aber ich bin noch lange kein Experte.« Den Blick bewundernd auf den großen schwarzen Hengst gerichtet, der hochgradig nervös zu sein schien, fügte er hinzu: »Der hier gefällt mir.«
Seine Ohren zuckten; er schnaubte und stampfte mit den Hufen. Aber sein Fell glänzte, was auf eine gute Gesundheit hindeutete. Sein wildes Gebaren und die Art, wie er den Kopf hochriss und die Zähne bleckte, hatte sicher potenzielle Kaufinteressenten verscheucht. Joe jedoch beugte sich näher zu ihm, um ihn besser betrachten zu können. Als er das Tier berühren wollte, hätte es ihn fast gebissen.
»Ein wunderschönes Tier«, pflichtete Ruby ihm bei, »aber ich glaube, der ist ein bisschen zu temperamentvoll.«
»Einer seiner Großväter konnte sich 1958 im Melbourne Cup gut platzieren. Sein Vater hat zwar nur einige wenige Rennen, seine Großmutter aber mehrere Derbys gewonnen. Die guten Erbanlagen haben sich vielleicht durchgesetzt. Was seinen Körperbau betrifft, kann ich nichts Nachteiliges entdecken. Beeindruckend ist vor allem die starke Hinterhand. Und ich denke, er ist auch bezahlbar, weil sich außer uns niemand für ihn zu interessieren scheint.«
Ruby warf Joe einen bedeutungsvollen Blick zu. »Sollte uns das nicht zu denken geben?«
»Sein Charakter schreckt die Leute ab.«
»Du hast selbst gesagt, wie wichtig der Charakter ist.«
»Richtig, aber Jed würde das schon hinkriegen.«
In diesem Moment riss der Hengst seinen Kopf hoch und rammte den Lattenzaun der Box mit seiner Brust. Ruby fuhr erschrocken zurück.
»Ich weiß nicht, Dad. Ich finde ihn ein bisschen zu Furcht einflößend.«
»Silver Flake hatte einen weitaus mieseren Charakter, als Jed und ich sie kauften«, wandte Joe ein.
»Das hat er mir erzählt, aber ich kann es mir fast nicht vorstellen«, sagte Ruby, die an Silver Flakes sanftes, ausgeglichenes Wesen dachte.
»Sie ist das beste Beispiel dafür, was Jed aus einem Pferd machen kann. Wenn es irgendjemand schafft, das Beste aus diesem Hengst herauszuholen, dann er. Jed hat eine besondere Begabung für den Umgang mit Pferden.«
Das hatte Ruby zwar selbst schon erlebt, trotzdem war sie skeptisch.
»Jed und ich wussten instinktiv, dass Silver Flake etwas Besonderes ist, und bei diesem Pferd sagt mir
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