Im Hauch des Abendwindes
dich«, begann er, »und du hast keine Veranlassung, auch nur ein Wort von dem, was ich sage, zu glauben. Aber ich hätte alles dafür gegeben, bei deiner Mutter und dir sein zu können und sehen zu dürfen, wie du heranwächst.«
Ruby kniff die Augen zusammen. Sie spürte, wie sich Wut in ihr anstaute – Wut und Trauer und ein anderes Gefühl, das sie nicht deuten konnte.
»Ruby!«, sagte Emily tadelnd, als sie den Gesichtsausdruck ihrer Tochter sah.
»Lass nur, Emily, das ist schon in Ordnung. Ich will wissen, was Ruby fühlt und denkt.«
»Mom hat gesagt, du hast deine Frau nicht verlassen können. Aber ich glaube, wenn du wirklich mit uns hättest zusammen sein wollen, hättest du einen Weg gefunden.«
Ihre Worte trafen Joe. »Manchmal ist es nicht so einfach, Ruby. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß. Das wirst du schon noch lernen. Deine Mutter hat dir doch von dem Abend erzählt, an dem ich Carmel um die Scheidung bat, nicht wahr?«
»Ja, sie hatte einen Unfall und fiel die Treppe hinunter.«
»Das war kein Unfall, Ruby. Als ich Carmel sagte, dass ich deine Mutter liebe und mit ihr zusammen sein wolle, stürzte sie sich absichtlich die Treppe hinunter.«
Ruby verzog zweifelnd den Mund.
»Carmel wollte den Dienstboten weismachen, ich sei schuld an ihrem Sturz, aber zum Glück war Mrs. Mathers zu dem Zeitpunkt im Wohnzimmer und sah mich durch die offene Tür am Fuß der Treppe stehen, als Carmel herunterstürzte. Es war also eindeutig nicht meine Schuld. So wurde der Sturz als unglücklicher Unfall betrachtet. Aber ich bin mir absolut sicher, dass Absicht dahintersteckte. Carmel wollte mich auf diese Weise an sich binden.«
»Und es hat funktioniert«, bemerkte Ruby bitter. »Warum hast du nicht eine bezahlte Hilfe ins Haus geholt? Geld genug hattest du doch.«
»Leider war es nicht so einfach. Carmel war sehr labil, und ich hatte Angst um Justin und Jennifer. Sie hat es zwar nie direkt gesagt, aber immerzu Andeutungen gemacht, dass sie ihnen etwas antun würde, wenn ich sie verließe. Ich wusste, dass ich vor Gericht keine Chance haben würde, weil sie im Rollstuhl saß und sich ausgezeichnet darauf verstand, Mitleid zu erregen. Aber ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass mein Herz deiner Mutter gehörte.«
»Warum hast du aufgehört, uns zu besuchen? Mom war so einsam.«
»Ruby«, tadelte Emily peinlich berührt.
»Das stimmt doch. Du bist all die Jahre ganz allein gewesen.«
»Ich hatte dich«, sagte Emily.
»Das ist nicht das Gleiche.«
»Ich hätte euch gern weiterhin besucht, aber diese Besuche waren eine Qual. Es zerriss mich innerlich, wenn ich wieder zu Carmel zurückmusste, und du hast jedes Mal geweint. Und wie deine Mutter mich angesehen hat: Das war mehr, als ich ertragen konnte. Ich dachte, es sei einfacher, wenn ihr mich nicht mehr sehen würdet. Das war falsch, ich weiß, aber ich klammerte mich an den Gedanken, dass ich eines Tages, wenn Justin und Jennifer alt genug und erwachsen wären, die Scheidung einreichen könnte. Diese Hoffnung hielt mich aufrecht.«
Ruby seufzte. »Sie sind schon eine ganze Weile erwachsen, oder?«
»Du hast Recht. Vor ein paar Jahren wollte ich diese Ehe, die schon lange keine mehr war, beenden. Doch dann fand mein Anwalt heraus, dass Carmel eine raffinierte Intrige eingefädelt hatte. Sie hatte mich in der Hand: Wenn ich sie verlassen würde, würde sie dafür sorgen, dass ich wegen Steuerhinterziehung ins Gefängnis wanderte. Sie wusste genug über meine Geschäfte, um es so hinzudrehen, als hätte ich Betrug im großen Stil begangen. Also ging ich her und nahm hohe Darlehen auf meine Firmen auf, und dann ließ ich mich auf riskante Geschäfte ein, die alle schiefgingen. Ich räumte meine Konten leer, indem ich das Geld so dumm wie möglich bei Glücksspielen setzte. Ich war erstaunt, wie schnell es ging, ein Vermögen zu verlieren. Danach ging ich nach Amerika, wo ein guter Freund von mir als Arzt arbeitet. Mit seiner Hilfe täuschte ich meinen Tod vor. Ich will nicht auf Einzelheiten eingehen, zumal ich ihm hoch und heilig versprechen musste, strengstes Stillschweigen darüber zu bewahren. Mein Plan war, mit deiner Mutter und dir hier auf dieser Insel zu leben. Darauf hatte ich schon eine ganze Weile hingearbeitet.«
Ruby hatte ihm befremdet zugehört. »Ich verstehe nicht, wie man seinen Kindern absichtlich so wehtun kann. Welcher Vater tut denn so etwas?«
»Ich liebe meine Kinder, aber sie kommen leider nach ihrer
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