Im Herzen der Wildnis - Roman
Whiskey in der Hand.«
Ihr Cousin Skip, den ihr Vater nach dem Tod von Onkel Kevin an Sohnes statt angenommen hatte, ertränkte seinen Kummer in Absinth. Shannon war erschrocken gewesen, als sie an jenem Morgen nach vierjähriger Abwesenheit zurückgekehrt war. Skip, dem der Tod seines Adoptivvaters sehr nahegegangen war, hatte besinnungslos im kalten Wasser der Badewanne gelegen, neben ihm eine halbleere Flasche Absinth und ein Fläschchen mit Laudanum. Der Butler Mr Wilkinson hatte ihr geholfen, ihren Adoptivbruder ins Bett zu stecken. Hatte Skip versucht, sich im Rausch zu ertränken? War die dramatische Inszenierung im Bad ein gescheiterter Selbstmordversuch? Oder der verzweifelte Hilferuf eines sensiblen, verstörten Menschen, der die Eiseskälte in der Familie einfach nicht mehr ertragen konnte?
»Hast du einen Geliebten?«, fragte Caitlin.
»Das geht Sie nichts an«, antwortete Shannon ruhig.
»Hast du mit einem Mann geschlafen?«
»Lesen Sie mein Tagebuch.«
Caitlin hob die Augenbrauen. Einen solchen Ton war sie nicht gewohnt. »Stehen dort pikante Dinge?«
»Was nennen Sie pikant?«
»Hast du oder hast du nicht?«, fragte Caitlin ungeduldig.
Shannon lachte trocken. »Sinkt gerade mein Marktwert?«
»Shannon!«
»Hat jemand eine Kaufoption auf mich erworben?«
»Ja.«
Daher die Aussteuertruhen, die sie bei ihrer Ankunft in ihrem Zimmer gefunden hatte: Porzellan, Kristall, Silber, Tischtücher und Bettwäsche. Alles vom Feinsten, wie nicht anders zu erwarten. Nur eben Caitlins Geschmack, nicht ihrer. Nach dem Telegramm ihres Vaters war damit zu rechnen gewesen. Shannons Vermählung war für Caitlin offenbar beschlossene Sache.
»Wer?«
»Tom Conroy. Von Conroy Enterprises. New South Wales.«
»Opale?«
»Schwarze Opale in Australien, Diamanten in Südafrika, Handel in China und Japan. Niederlassungen in Sydney, Kapstadt, Kalkutta, Hongkong, Yokohama und Honolulu.«
»Und offenbar demnächst in San Francisco. Was will er?«
»Tyrell & Sons ist neben der Brandon Corporation der weltgrößte Pelzlieferant und das finanzstärkste Handelsunternehmen im Westen der Vereinigten Staaten. Tom will mit uns kooperieren und in den Alaskahandel einsteigen.«
Das Unternehmen unterhielt in Alaska mehr als neunzig Handelsposten, wo Trapper, Jäger und Robbenfänger die Pelze und das Elfenbein aus den Stoßzähnen von Walrossen und Walknochen gegen Waren tauschten. Obwohl die Fangquoten für Robben erschöpft waren und der Pelztierbestand in Alaska unaufhörlich sank, wuchs der Reichtum der Familie Tyrell stetig weiter. Die ungeheuren Gewinne aus der Goldsuche am Yukon wurden umsichtig reinvestiert: Handel mit Sibirien, Japan und China. Fischerei in Alaska. Zuckerrohrplantagen auf Hawaii. Minen in Mexiko. Konservenfabriken in San Francisco. Straßenbahnen in Chicago, New York und Philadelphia. Und die Eisenbahn, die Verbindung zwischen dem Westen und dem Osten, die Caitlin wie den Hafen von San Francisco unter ihre Kontrolle bringen wollte. Der Einzige, der ihr erbittert Widerstand leistete, war Charlton Brandon von der konkurrierenden Brandon Corporation. Die beiden Unternehmen waren seit einem halben Jahrhundert verfeindet.
Wie Caitlin und Charlton schien auch Tom seine Finger in jeden Kuchen zu stecken, um davon zu kosten. »Was will er?«, wiederholte sie ihre Frage.
»Dich.«
»Für sich selbst?«
»Tom ist Mitte fünfzig. Seit einem Unfall in seiner Opalmine in Lightning Ridge sitzt er im Rollstuhl und steht trotzdem mit beiden Beinen fest auf der Erde, wenn du verstehst, was ich meine. Er sucht eine Frau für seinen Sohn, Rob Conroy.«
»Ist Rob die Kurzversion von Robert?«
»Nein, er heißt tatsächlich so. Tom hat ihm den Namen gegeben, als er den Jungen eines Tages vor seiner Tür fand. Der Kleine war sechs Wochen alt. Aber das soll Tom dir selbst erzählen.«
»Rob ist gar nicht sein Sohn?«
»Tom betrachtet ihn als seinen Erben.« Caitlin lächelte matt. »Rob ist das einzige Kind, das bei ihm abgegeben wurde.«
»Verstehe.« Tom Conroy war offenbar nie verheiratet gewesen. »Also schön, Tom hat eine Kaufoption auf mich. Habe ich auch eine auf Rob?«
Caitlin hielt ihrem Blick stand. »Ich sehe, dein Studium in Stanford war eine gute Investition.«
»Beantworten Sie bitte meine Frage!«
»Die Ware steht für eine eingehende Prüfung nicht zur Verfügung. Rob ist in New South Wales. Er kommt, sobald ich mich mit Tom geeinigt habe.«
»Nein, Ma’am«, sagte sie ruhig. »Der Deal ist
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