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Im hohen Gras

Im hohen Gras

Titel: Im hohen Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S King
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die Wiese mit dem hohen Gras, die der Kirche und dem alten Bowlingcenter gegenüberlag. Sie würden darauf achten, dass ihre Kinder auf der sicheren Seite der Straße blieben. Und wenn hin und wieder ein Tourist einen Hilferuf hörte und im hohen Gras verschwand, weil er den guten Samariter spielen wollte, knöpften sich die Einheimischen seinen Wagen vor und nahmen sich, was sie gebrauchen konnten.
    Wahrscheinlich finden sie die Wiese ganz großartig. Und haben Ehrfurcht vor ihr. Und beten sie an. Und …
    Er bemühte sich vergeblich, die logische Schlussfolgerung zu verdrängen.
    Und opfern ihr. Das Zeug, das sie in den Kofferräumen und Handschuhfächern erbeuten? Das ist nur eine Dreingabe.
    Er sehnte sich nach Becky. Gütiger Himmel, wie sehr er sich nach Becky sehnte! Und gütiger Himmel, er hatte entsetzlichen Hunger. Er konnte nicht entscheiden, was dringlicher war.
    »Becky? Becky? «
    Nichts. Über ihm schimmerten die ersten Sterne.
    Cal ließ sich auf die Knie fallen, grub die Hände in den matschigen Boden und schaufelte Wasser an die Oberfläche. Er trank es, wobei er versuchte, den Sand mit den Zähnen herauszufiltern. Wenn Becky bei mir wäre, würden wir einen Ausweg finden. Denn das Kamel und der Scheich, die denken beide gleich.
    Er trank noch etwas mehr Wasser, vergaß diesmal aber, es zu filtern, und schluckte eine Menge Sand. Und noch etwas anderes, etwas, was sich bewegte. Ein Insekt vielleicht, oder einen kleinen Wurm. Und wenn schon. Das waren immerhin Proteine, oder?
    »Ich finde sie nie«, sagte Cal. Er starrte in das dunkler werdende, wogende Gras. »Weil du das nicht zulässt, stimmt’s? Du hältst die Menschen, die sich lieben, voneinander fern, hab ich recht? Das ist deine Aufgabe. Wir laufen hier im Kreis und rufen, bis wir verrückt werden.«
    Allerdings hatte Becky aufgehört zu rufen. Wie die Mutter des Jungen machte sie inzwischen keinen Mucks mehr …
    »So muss es nicht enden«, sagte jemand leise.
    Cal riss den Kopf herum. Vor ihm stand ein kleiner Junge in schlammbespritzten Kleidern. In einer Hand hielt er, an einem gelben Bein, eine tote Krähe.
    »Tobin?«, flüsterte Cal.
    »Das bin ich.« Der Junge hob die Krähe an den Mund und schlug ihr die Zähne in den dicken Bauch. Die Federn knackten. Die Krähe nickte mit dem Kopf, als wollte sie So ist’s recht, so ist’s recht, immer ran an den Speck sagen.
    Eigentlich war Cal nach dem letzten Hochhüpfen viel zu geschwächt, als dass er genug Kraft zu springen gehabt hätte, aber das Grauen hatte nun einmal seine eigenen Gesetze. Er machte einen Satz vorwärts und riss dem Jungen die Krähe aus den Händen, wobei er kaum mitbekam, wie dem Tier die Eingeweide aus dem offenen Bauch herausflutschten. Ihm entging jedoch nicht, dass dem Jungen eine Feder im Mundwinkel steckte. Das konnte er sogar in der hereinbrechenden Dunkelheit klar und deutlich sehen.
    »Das kannst du doch nicht essen! Mensch, Kleiner! Bist du verrückt geworden?«
    »Nein, aber ich hab Hunger. Und die Krähen sind nicht schlecht. Freddy konnte ich nicht essen. Den hab ich nämlich viel zu gern gehabt. Dad hat was von ihm gegessen, aber ich nicht. Natürlich hatte ich da noch nicht den Fels berührt. Wenn man den Fels berührt – und ihn umarmt –, dann versteht man alles. Dann weiß man plötzlich viel mehr. Aber man kriegt auch ganz schrecklich Hunger. Und mein Dad sagt immer – der Mensch besteht aus Fleisch, und Fleisch muss der Mensch essen. Nachdem wir bei dem Fels waren, sind wir getrennt worden, aber er hat gesagt, wir könnten uns jederzeit wiederfinden, wenn wir wollen.«
    Cal kam nicht ganz mit. »Freddy?«
    »Das war unser Golden Retriever. Der konnte echt gut Frisbeescheiben fangen! Wie ein Hund im Fernsehen. Hier drinnen ist es leichter, was zu finden, wenn es erst mal tot ist. Tote Sachen bewegt die Wiese nicht in der Gegend rum.« Seine Augen funkelten im schwindenden Licht, und er starrte die zerfleischte Krähe an, die Cal immer noch in der Hand hielt. »Irgendwie halten sich die meisten Vögel vom Gras fern. Die wissen Bescheid und warnen sich gegenseitig. Aber manche wollen einfach nicht hören. Vor allem Krähen, wie’s aussieht, von denen gibt es nämlich ’ne ganze Menge. Wenn Sie eine Weile hier rumlaufen, finden Sie bestimmt welche.«
    »Tobin, hast du uns hierhergelockt?«, fragte Cal. »Sei ehrlich. Ich bin auch nicht sauer. Bestimmt hat dein Vater dich dazu gezwungen.«
    »Wir haben gehört, wie jemand schreit. Ein kleines

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