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Im hohen Gras

Im hohen Gras

Titel: Im hohen Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S King
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daraufhin jedes Mal brennendes Propan aus den Nüstern ausstieß. Cal stellte sich vor, wie der Drache auf der Wiese landete, und bei dem Gedanken, sein Feueratem könnte über das Gras streichen, wurde ihm ganz schwindlig vor Freude.
    Er drehte das Streichholzbriefchen in der Hand hin und her und tippte mit dem Finger auf die weiche Pappe.
    Brenn die Wiese nieder, dachte er. Brenn die verdammte Wiese nieder. Das hohe Gras würde den Weg allen Strohs gehen, das man in Brand setzte.
    Er stellte sich einen Fluss aus brennenden Halmen vor, Funken und Fetzen von glimmendem Gras, die durch die Luft geweht wurden. Das Bild war so deutlich, dass er die Augen schließen und den irgendwie wohltuenden spätsommerlichen Gestank brennender Pflanzen sogar riechen konnte.
    Aber was, wenn sich die Flammen gegen ihn wandten? Was, wenn sie irgendwo Becky überraschten? Was, wenn seine Schwester ohnmächtig war und erst vom Gestank ihres brennenden Haars aufgeschreckt wurde?
    Nein. Becky würde sich schon in Sicherheit bringen. Er würde sich in Sicherheit bringen. Die Vorstellung hatte sich in ihm festgesetzt, dass er dem Gras wehtun , ihm zeigen musste, dass er sich wehren konnte, und dann würde es ihn – sie beide – ziehen lassen. Jedes Mal wenn ihm ein Halm über die Wange strich, hatte er das Gefühl, dass es sich über ihn lustig machte, ihn verspottete.
    Obwohl seine Beine sich beschwerten, stand er auf und zerrte an einem Büschel Gras. Es war so fest wie ein altes Seil, fest und scharf, und schnitt ihm in die Hände. Trotzdem riss er etwas davon heraus, drückte es zu einem Haufen zusammen und kniete davor nieder, ein Büßer vor seinem ganz persönlichen Altar. Er brach ein Streichholz ab, legte es auf die Reibefläche, faltete den Karton darüber und riss es ruckartig heraus. Direkt vor seinem Gesicht loderte die Flamme auf, und er inhalierte einen Hauch brennenden Schwefels.
    Das Streichholz ging aus, kaum hatte es das nasse, saftige Gras berührt, das sich mit unvergänglichem Tau vollgesogen hatte.
    Als er das nächste anzündete, zitterte seine Hand.
    Bei der ersten Berührung mit dem Gras zischte es und ging aus. Hatte Jack London darüber nicht eine Geschichte geschrieben?
    Noch eines. Und noch eines. Jedes Mal stieg eine fette Rauchwolke auf, sobald das Streichholz das nasse Gras berührte. Eines wurde sogar gleich nach dem Anzünden von einer sanften Brise ausgeblasen.
    Schließlich zündete er eines der letzten sechs Streichhölzer an und hielt es aus lauter Verzweiflung an das Streichholzbriefchen. Die Pappe ging sofort in Flammen auf, und er ließ sie in das Nest aus angesengtem, aber immer noch feuchtem Gras fallen. Einen Moment lang blieb das Briefchen auf dem gelblich grünen Pflanzenknäuel liegen, und eine lange, helle Flammenzunge loderte empor.
    Das Briefchen sengte ein Loch in die feuchten Halme, fiel in den Matsch und ging aus.
    Außer sich vor Wut trat Cal den ganzen Haufen zusammen. Nur so gelang es ihm, die Tränen zu unterdrücken.
    Dann saß er eine ganze Weile mit geschlossenen Augen regungslos da und presste die Stirn gegen eines der Knie. Er war müde und wollte sich ausruhen, wollte sich auf den Rücken legen und zuschauen, wie die Sterne am Himmel erschienen. Andererseits wollte er sich aber auch nicht in dem klebrigen Matsch ausstrecken, wollte ihn nicht in den Haaren, wollte nicht, dass er ihm den Rücken hinunterlief. Er war sowieso schon schmutzig genug. Die scharfen Kanten der Grashalme hatten auf seinen Beinen rote Streifen hinterlassen. Er überlegte, ob er nicht noch einmal versuchen sollte, zur Straße zu laufen, bevor es ganz dunkel war, aber er konnte kaum aufstehen.
    Was ihn schließlich veranlasste, sich doch zu erheben, war das ferne Heulen einer Autoalarmanlage. Allerdings nicht irgendeiner Alarmanlage. Das war kein wah-wah-wah , wie bei den meisten; es war ein IEH-ho , IEH-ho , IEH-ho . Soweit er wusste, tuteten nur alte Mazdas auf diese Weise, wenn sich jemand an ihnen zu schaffen machte, und blinkten dazu rhythmisch mit den Scheinwerfern.
    Wie der Mazda, mit dem er und Becky durchs Land gefahren waren.
    IEH-ho, IEH-ho, IEH-ho.
    Er sprang in die Höhe, obwohl die Beine so müde waren. Die Straße war wieder ein Stück näher (was ihm auch nicht weiterhalf), und ja, er sah einen Scheinwerfer blinken. Sonst bekam er nicht viel zu sehen, aber er konnte sich auch so vorstellen, was da vor sich ging. Die Leute, die hier an der Landstraße wohnten, wussten bestimmt Bescheid über

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