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Im Krebsgang

Im Krebsgang

Titel: Im Krebsgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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nahm allerdings an, daß den Insassen der Jugendhaftanstalt der Anschluß ans Internet verwehrt bleiben würde; es wäre ja sonst einigen Straftätern möglich geworden, unter der Anleitung des Webmasters Konrad Pokriefke den virtuellen Fluchtweg zu finden: den kollektiven Ausbruch ins Cyberspace.
Außerdem erfuhr ich, daß ein Tischtennisteam der Neustrelitzer, zu dem mein Sohn zählte, gegen eine Auswahl der Jugendhaftanstalt Plötzensee gespielt und gewonnen hatte.
Zusammengefaßt: der laut Gerichtsurteil als Totschläger zu bezeichnende und mittlerweile volljährige Sohn eines vielbeschäftigten Journalisten war rund um die Uhr fleißig. Kurz nach Sommeranfang bestand er sein Fernabitur mit der Bewertung einskommasechs; ich schickte ein Telegramm: »Glückwunsch, Konny!«
Und dann bekam ich von Mutter Nachricht: Sie sei länger als eine Woche im polnischen Gdansk gewesen. Nun wieder in Schwerin, wo ich sie besuchte, war zu hören: »In Danzig bin ech natierlich och rumjelaufen, aber meistens war ech in Langfuhr unterwejens.
Hat sich alles verändert da. Aber das Haus inne Eisenstraße steht noch. Sogar die Balkons mit Blumenkisten sind alle noch dran...«
Mit einem Reisebus hat sie die Tour gemacht. »War janz billig fier ons!« Eine Gruppe Heimatvertriebener, Frauen und Männer in Mutters Alter und älter, waren dem Angebot einer Reiseagentur gefolgt, die sogenannte »Heimwehfahrten« organisierte. Mutter sagte: »Scheen warres da. Das muß man den Polacken lassen, ham viel aufjebaut wieder, alle Kirchen ond so. Nur das Denkmal von dem Gutenberj, den wir als Kinder Kuttenpäch jenannt ham ond das im jäschkentaler Wald glaich hinterm Erbsberj jestanden hat, jiebts nich mehr. Doch in Breesen, wo ech bai Scheenwetter jewesen bin, jiebts wieder ne richtche Badeanstalt wie frieher...«
Danach ihr Binnichtzuhauseblick. Aber schon bald lief wieder die Platte mit Sprung: Wie es mal früher, noch früher, ganz früher gewesen sei, auf dem Tischlereihof oder wie man im Wald einen Schneemann gebaut habe oder was während der Sommerferien am Ostseestrand los war, »als ech nur son Strich jewesen bin...« Mit einer Horde Jungs sei sie zu einem Schiffswrack rausgeschwommen, dessen Aufbauten seit Kriegsbeginn aus dem Wasser geragt hätten. »Janz tief rainjetaucht sind wir in den verrosteten Kasten. Ond ainer von die Jungs, der is am tiefsten runter, Jochen hieß der...«
Ich vergaß Mutter zu fragen, ob sie während der Heimwehtour, trotz des Sommerwetters, ihr verdammtes Fuchsfell im Gepäck gehabt habe. Aber ich wollte nur wissen, ob denn Tante Jenny in Danzig-Langfuhr und sonst wo noch dabeigewesen wäre. »Nee«, sagte Mutter, »die wollt nich mit. Wegen die Baine ond och sonst nich. Würd ihr zu weh tun, hat sie jesagt. Aber den Schulwej, den ech mit maine Freundin jegangen bin, habech paarmal abgelaufen raufrunter. Kam mir viel kirzer vor diesmal...«
Noch mehr Reiseeindrücke muß Mutter gleich nach ihrer Rückkehr brühwarm meinem Sohn serviert haben, alle Einzelheiten des auch mir geflüsterten Eingeständnisses: »Och in Gotenhafen bin ech jewesen, allein. Unjefähr da, wo se ons ainjeschifft ham. Hab mir in Jedanken vorjestellt alles, och all die Kinderchen mittem Kopp nach unten in dem aisigen Wasser. Hab wainen jemußt, könnt aber nich...« Wieder ihr Binnichtzuhauseblick. Dann war nur noch von »Kaadeäff« die Rede: »Is ja aijenlich ain scheenes Schiff jewesen...«
So war es nicht erstaunlich, daß ich beim nächsten Besuch in Neustrelitz - gleich nach der Bundestagswahl - einem Produkt besessener Bastelei konfrontiert wurde. Der Baukasten, aus dem sich mein Sohn bedient hatte, war ein Geschenk, das bestimmt aus Mutters Portemonnaie bezahlt worden war.
    Dergleichen findet man in den Spielzeugabteilungen der Kaufhäuser dort, wo in Regalen Modellbaukästen für namhafte Exemplare, die fliegen, fahren, schwimmen können, gut sortiert gestapelt liegen. Glaube nicht, daß sie in Schwerin eingekauft hat.
    Entweder wird sie in Hamburgs Alsterhaus oder in Berlins KaDeWe gesucht und gefunden haben. In Berlin war sie häufig. Neuerdings fuhr sie einen Golf und war überhaupt viel und - was ihre Fahrweise betraf - gewagt unterwegs; Mutter überholt aus Prinzip.
    Wenn sie nach Berlin kam, dann nicht etwa, um mich in meinem Kreuzberger Junggesellenchaos zu besuchen, sondern um in Schmargendorf mit ihrer Freundin Jenny »von frieher zu schawittern« und dabei zu Mürbegebäck Rotkäppchensekt zu trinken. Seit der Wende

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