Im Kreis des Wolfs
zu Luke hinüber. Inregelmäßigen Abständen näherte sie sich derselben Stelle, senkte die Schnauze und schnupperte, hob dann den Kopf, bellte erneut und brach nun nach jedem Bellen in ein langgezogenes Heulen aus. Hoffentlich gab sie endlich Ruhe, dachte Luke, sonst verriet sie noch allen, wo sie war.
Er steckte das Nachtsichtgerät in die Tasche und betrat die Rodung. Die Wölfin stand knapp vierzig Meter vor ihm, doch als er näher kam, wurde sie unruhig. Sie rannte einige Schritte weg, ließ den Schwanz sinken, schien dann aber wieder Mut zu fassen, drehte sich um, kam zurück, bellte und heulte ihn an. Im Mondlicht erkannte Luke etwas Dunkles an der Stelle, zu der sie immer wieder zurücklief. Und als sie für einen Augenblick aufhörte zu bellen, vernahm er ein Wimmern und Winseln, das nicht von ihr stammen konnte.
Als er die letzten Meter zur Höhle zurücklegte, entfernte sich die Wölfin. Kaum zwanzig Meter weiter aber blieb sie wieder stehen und beobachtete ihn. Schlagartig verstummte sie. Wieder hörte er das Wimmern. Er knipste die Taschenlampe an.
»O nein«, murmelte er.
Helen hatte den Pick-up quer über den Weg gestellt und die Schlüssel unter einem Stein in der Nähe versteckt. Der Wagen allein reichte als Straßensperre nicht. Deshalb hatte Helen mit der Kettensäge eine riesige Douglastanne gefällt. Im Augenblick sägte sie gerade an einem zweiten Baum.
Bevor der Baum umfiel, trat Helen zurück und rief Eleanor zu, sie solle aus dem Weg gehen. Der Baum senkte sich, knirschte und stürzte schließlich krachend dorthin, wo sie ihn haben wollte. Gleich darauf herrschte wieder Stille.
Sie standen etwa anderthalb Meter nördlich der Rodung. Helen hatte sich für diese Stelle entschieden, weil man von hier aus den Weg, der sich in steilen Kurven vom Tal heraufwand,weit überblicken konnte. Doch es war noch nichts zu sehen.
Helen legte die Kettensäge auf die Ladefläche des Pickup. Eleanor gab ihr die Taschenlampe.
»Stört es Sie, wenn ich sie ausmache, um die Batterien zu schonen?«
»Nein, nein, ich mag die Dunkelheit.«
Sie wirkte völlig ruhig. Helen fragte sich, wie sie das schaffte. Ihr eigenes Innenleben glich eher einer Achterbahn. Schweigend standen die beiden Frauen eine Weile neben dem Pick-up und betrachteten den Mond. Irgendwo hinter ihnen im Wald rief eine Eule.
»Ist Ihnen warm genug?«, fragte Helen.
»Ja, keine Sorge.«
»Ich würde jetzt viel um eine Zigarette geben.«
»Ich hab früher auch geraucht.«
»Tja, es heißt ja, nur die besten Frauen rauchen …«
»Und nur die schlechtesten Männer.«
»Sind wir also schlechte Frauen, weil wir aufgehört haben?«
»Sicher nicht.«
Sie mussten beide lachen.
»Vielleicht kommen sie gar nicht her«, sagte Helen.
»O doch, die kommen.« Eleanor runzelte die Stirn. »Was glauben Sie, warum hassen die Menschen diese Tiere so sehr?«
»Die Wölfe? Keine Ahnung. Vielleicht sind sie uns zu ähnlich. Wir erkennen uns selbst in ihnen. Sie sind liebevolle, fürsorgliche Geschöpfe, aber auch schreckliche Killer.«
Eleanor dachte eine Weile über das nach, was Helen gesagt hatte.
»Vielleicht ist auch Neid mit im Spiel.«
»Worauf?«
»Darauf, dass sie immer noch Teil der Natur sind, während wir uns ihr längst entfremdet haben.«
Sie schien noch etwas sagen zu wollen, als eine Bewegung unten im Tal ihre Aufmerksamkeit erregte.
»Da kommen sie«, sagte sie.
In der ersten Kurve blitzte Scheinwerferlicht auf. Helens Gefühle gerieten erneut in Aufruhr. Die beiden Frauen beobachteten, wie ein zweites Fahrzeug und dann noch ein weiteres auftauchte. Gleich darauf hörten sie auch die zugehörigen Motoren und Hundegebell. Dann kamen noch mehr Trucks. Fünf, sechs … insgesamt acht Fahrzeuge krochen im Konvoi den Weg herauf.
»Tja«, sagte Helen, »es geht los.«
Buck hatte sie nicht gezählt, aber er nahm an, dass es ungefähr zwanzig Mann waren, darunter allerdings auch einige, die er lieber nicht dabeigehabt hätte. Die beiden Hardings und die Holzfäller, mit denen sie in der Kneipe zusammen gesoffen hatten, waren ziemlich betrunken. Irgend jemand hatte Schnaps mitgebracht, und Buck musste unterwegs anhalten und ihnen sagen, dass sie mit dem Geschrei und der Grölerei aufhören sollten, sonst könnten sie gleich wieder umkehren. Wenn sie so viele waren, bot ihnen das auch einen gewissen Schutz. Niemand würde riskieren, die ganze Stadt ins Gefängnis zu stecken. Er führte mit Clyde die Kolonne an. Zwischen ihnen
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