Im Land der Feuerblume: Roman
ein wenig zusammenreißen würde!, durchfuhr es ihn – ein Gedanke, den er sich sogleich wieder verbat.
Es war nicht immer leicht, an der Seite von Pastor Zacharias Suckow zu leben – aber im Grunde seines Herzens war er ein gutmütiger Mensch, und er, Cornelius, hatte ihm viel zu verdanken, unendlich viel.
»Wie lange haben wir nun nichts mehr zu essen bekommen?«, klagte Zacharias, als hätte ihm der Hunger schon ein Loch in den Leib gerissen, obwohl er diesen rundlich und wohlgenährt wie immer vor sich her schob.
»Jetzt, da es aufs Schiff geht, werden wir unser Abendmahl dort einnehmen«, versuchte Cornelius, ihn aufzumuntern.
»Möchte nicht wissen, welchen Fraß sie uns vorsetzen werden«, murrte Pastor Zacharias.
Vor einigen Tagen hatte er Gleiches befürchtet – als sie im Logierhaus eintrafen, wo sie die Tage bis zur Abreise verbringen würden. Steinhartes Brot hatte er prophezeit, sauren Wein und zähes Fleisch, so es denn überhaupt welches geben würde. Cornelius hatte dagegengehalten, dass sie schließlich ordentlich für jeden Tag bezahlten – und recht behalten: Die Suppe, die ihnen serviert worden war, war kräftig und gut gewürzt; der Rinderbraten weich und saftig. Erbsen und Kartoffeln gab es dazu und hinterher ein dickes Stück Schmandkuchen mit Bohnenkaffee, Zucker und Milch. Auch beim Frühstück am nächsten Tag war keine Rede davon, dass man ihnen den bitter schmeckenden Zichorienkaffee der armen Leute vorsetzte, wie Pastor Zacharias zuvor klagend verkündet hatte.
Aber anstatt angenehm überrascht zuzugeben, dass das Leben, das gerade in so unruhigen Bahnen verlief, vielleicht doch nicht schnurstracks ins Verderben führen würde, sofern man denn das erforderliche Geld aufbringen könnte, hatte er nur umso lauter geseufzt. Dass dies seine Henkersmahlzeit sei! Dass er sie gar nicht richtig genießen könne! Dass er sich niemals hätte von seinem Landesbischof überreden lassen dürfen, in die Wildnis zu gehen!
So sprach er stets von Chile, als hätte das Land keinen Namen. Genauso wie er die dortigen Menschen nicht als solche betrachtete, sondern als Tiere, die in den Bäumen hausten wie die Affen.
Dabei waren es gute Christenmenschen, wenngleich katholische, und genau darin läge das Problem, wie der Landesbischof ihm erklärt hatte.
Cornelius war dabei gewesen, als sie bei einem Glas Portwein zusammentrafen und der Bischof dem Pastor seine Sorgen darlegte: dass die chilenische Regierung in Deutschland Familien anwerben lasse, die den Süden des Landes erschließen sollten. Und dass diese entweder erfahrene Bauern oder Handwerker sein und obendrein der katholischen Kirche angehören müssten.
Ersteres war leicht zu erfüllen. Letzteres nicht. Mehrere katholische Bischöfe, insbesondere die aus Fulda und Paderborn, Trier und Regensburg, erhoben Einspruch gegen die Auswanderung ihrer Schäfchen – schließlich wollten sie ihre Kirchengemeinden nicht schwinden sehen –, so dass der Kolonisationsagent Philippi schließlich auf diese Bedingung verzichtete und flugs begann, Auswanderer unter den Protestanten zu sammeln.
»Anders als unsere katholischen Amtsbrüder halten wir die Mitglieder unserer Gemeinden nicht in Deutschland fest«, hatte der Bischof Pastor Zacharias erklärt, »aber da Chile ein durch und durch katholisches Land ist, müssen wir unseren Brüdern und Schwestern doch einen Führer in ihrem Glauben mitgeben.«
Pastor Zacharias hatte schweigend zugehört – was ungewöhnlich genug war –, zunehmend größere Schlucke Wein genommen, ein immer verwirrteres Gesicht gemacht und am Ende schließlich ungläubig begriffen, dass das Anliegen ihm galt.
»Bedenken Sie«, meinte der Bischof, »die chilenische Regierung hat sämtlichen einwandernden Priestern, Lehrern und Ärzten ein Gehalt versprochen. Auch wenn Sie nicht der gewünschten Konfession angehören – so einfach werden sie das Versprechen nicht zurücknehmen. Sie müssten nicht nur mit einem Hungerlohn rechnen, wenn Sie sich zu der Reise entschließen könnten.«
»Ich?«, rief Pastor Zacharias, und auf den Schreck hin brauchte er erst einmal eine Prise Schnupftabak, obwohl er für gewöhnlich dicke Zigarren bevorzugte. Schnupftabak, so klagte er, würde unerträglich in der Nase brennen. An diesem Abend allerdings konnte es wohl gar nicht stark genug brennen. »Ich soll in die Wildnis gehen?«, stammelte er schließlich mit krächzender Stimme.
Fortan sprach er ständig von der »Wildnis«. An
Weitere Kostenlose Bücher