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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Altmann Andreas
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die Ankunft von Gesindel. So mancher Zwielichtige brachte sich auf dem Kontinent in Sicherheit, meist Männer, die vor der Polizei, der Frau, der Familie, dem Staat, den Schulden davongelaufen waren. Und das gleiche Leben hier weiterführten, sich Banden anschlossen, mit Ketten und Schlagringen bestückt »ihr Viertel« verteidigten. Gegen andere schwere Jungs. Was wiederum zum Aufruhr unter den »anständigen weißen Ureinwohnern« führte. (Anständige schwarze Ureinwohner kamen nicht vor.) Überliefert ist der rührig biedere Aufruf an ihre Töchter, die Töchter der Anständigen, sich auf keinen Fall mit den wogs , den Kaffern, den Kanaken einzulassen. Anspielung auf die eher dunkle Hautfarbe südeuropäischer Einwanderer.
    Für etwa 320 000 Männer, Frauen und Kinder war Bonegilla – Aborigine-Wort für »wo Wasser sich treffen«, Anspielung auf drei nahe Flüsse – ihre erste Unterkunft. Geht man auf ein unschönes Betonkonstrukt zu, The Beginning Place , schaltet sich automatisch ein Monitor ein, auf dem ein Dokumentarfilm läuft. Am erstaunlichsten die Aussage eines Beamten, der in den frühen 50er Jahren hier beschäftigt war. Er berichtet von einer gewissen Gruppe von Flüchtlingen, von Deutschen, die einen starken Geruch absonderten. Sie rochen nach Urin und Fäkalien. Man fand bald heraus, warum: Die wake-up calls wurden über Lautsprecher durchgegeben, man musste sich in Reih und Glied aufstellen, die Weckruf-Stimmen redeten (auch) Deutsch, am Eingang zum Lager standen Soldaten, dazu der Anblick der vielen Baracken mit den seltsam groß geratenen Schornsteinen. Kein Wunder, dass die grausigsten Erinnerungen zurückkamen, eben der panische Instinkt, wieder in einem Konzentrationslager gefangen zu sein. Deshalb das Versagen der Schließmuskeln. Als Zeichen von Todesangst.
    Rabiat auch die Geschichte von den italienischen Insassen, die es eines Tages satt hatten, mit Hilfe dümmlicher Vertröstungen – »Come tomorrow morning, nine o'clock, work available!« – abgespeist zu werden. Und losstürmten und die Büros niederbrannten. Sie forderten »Arbeit oder Rückführung!« An der listening wall kann man die Geschichten jener hören, die hier ausharrten. Ein Russe: »Wir wollten nur weg, von Europa, vom Krieg, von den Camps.« Eine kleine Tafel verweist auf einen gewissen Mister Adolph and his son Siegfried . Leider sagen sie nichts, schade, man hätte gern gewusst, was Herr Adolph und sein Sohn Siegfried zu erzählen haben. Das Absurde am Rande von Tragödien verschafft immer einen Moment der Heiterkeit.
    Still ist es, die Behelfsunterkünfte aus Holz und Wellblech stehen jetzt leer, hohes Gras wuchert, ein Schild warnt vor Schlangen, ein anderes vor »belastendem Asbest-Material«. Die Bruchbuden verfallen, ein paar Waschbecken und Duschen stehen noch, eine verwaschene Schrift verweist auf einen working out room , wohl ein Behelfsstudio, um die zum Stillstand verurteilten Leiber in Form zu halten. Über der Anlage weht ein Hauch von Geisterstadt in hübscher Umgebung, hügelig, ein See in Sichtweite, hohe Bäume, deren Blätter im sanften Wind rascheln.
    Ich setze mich auf eine Holzveranda, rauche, schließe die Augen, würde gern wissen, was aus den 320 000 geworden ist, die hier durchgeschleust wurden. Wer kam bei seinen Träumen an, wer scheiterte und blieb ein Leben lang nur Träumer? Plötzlich muss ich grinsen, ein Foto fällt mir ein, das ich in der heutigen Zeitung sah. Es zeigte das Shopping-Paradise Alexa , das vorgestern in Berlin eröffnet wurde. Und es zeigte die Menschenmassen, die sich um das Gebäude wälzten. Kurz vor Mitternacht (!), denn um Null Uhr wurden die Tore geöffnet, »for the bargain hunters«, für die Schnäppchenjäger. So stand es unter dem Bild. Es gab Verletzte, Scheiben gingen zu Bruch, die Polizei musste eingreifen. Es hatte etwas Obszönes, deshalb wohl schaffte es das Bild bis zur Veröffentlichung im endlos fernen Australien. Fünftausend Kälber tanzen um das goldene Kalb. Man kann
     das Foto interpretieren, wie man will. Feststeht, der große mitternächtliche Haufen hat nicht einmal mehr Träume. Er ist dort angekommen, wo das Leben am fürchterlichsten sein muss, dort, wo nichts anderes mehr zählt, als die Fähigkeit, Zeit totzuschlagen.
    Per Anhalter zurück nach

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