Im Land der Regenbogenschlange
Bewegung überlässt mir der kranke Greis den Vortritt. So gebeutelt vom Leben und noch immer so viel Stil, das ist bemerkenswert. Ich muss darauf bestehen, dass ich seine GroÃzügigkeit nicht annehmen kann. Wie verschieden wir mit der Welt und ihren Bewohnern umgehen. Auf der einen Seite die Büffel, das Herdentier, der blökende Trampel. Und auf der anderen die Achtsamen, die Empathie-Begabten, die Mitdenker und Mitfühler. Der Alte ist ein ganzes Lehrstück.
Die nächsten fünf Stunden bin ich wieder der ewige Jude, der mit seinem »Schlepptop« und dem Rucksack von einem Café ins nächste zieht. Immer auf der Suche nach einem Ort, der nicht gerade schlieÃt, wenn ich sitze. Aber kurz nach 21 Uhr darf ich davon, um nach einer knappen Stunde Zugfahrt in Wodonga anzukommen. Da ich inzwischen begriffen habe, dass überall in Australien, auÃer in GroÃstädten, immer nur ein Taxi wartet, sprinte ich vom Waggon zum Vorplatz und bin klarer Sieger. Auf zum heftig, per Telefon, umkämpften Hotelbett.
Sauberes Zimmer, warm, ich drehe den Fernseher an, lege mich ins Bett, zappe, will mich entspannen. Das geht, denn eine aufregende Dokumentation über Bodybuilder kommt. Die Muskelberge erinnern mich an meine Jugend. Da wollte ich auch ölglänzend und mit 140 Zentimeter Brustumfang durchs Schwimmbad stolzieren. Es kam nie dazu. 34 Zentimeter davor bin ich gescheitert.
Der Film behandelt ein Problem, das es damals nicht gab. Steroide spritzen. Um »Masse« aufzubauen. Um in wenigen Monaten Muskelpakete anzuhäufen, die durch »ehrliches« Training nie möglich wären. Man sieht den Mann mit dem »gröÃten Bizeps aller Zeiten«. Der Superlativ mag erfunden sein, aber seine Oberarme sehen aberwitzig aus, ähnlich wuchtig wie der Oberschenkel eines Zehnkämpfers. Ein Wahnsinniger, der sich beim Spritzen der Droge gefilmt hat. Bis die chemiedrallen Höcker platzten und er per Blaulicht auf dem Operationstisch landete. Und hinterher im Zuchthaus, da er sich die Scheine für die Aufputschmittel nur auf kriminellem Wege beschaffen konnte.
Der Beitrag hat Tiefe, denn er verhandelt ein Allerweltsthema, das jeden von uns bewegt. Alle Interviewten â sie sehen inzwischen aus wie muskelfaserüberwucherte Monster vom Planet der Affen â geben als Motivation an: »to be someone«, jemand sein, der es schafft, aus der Masse der Gesichtslosen, der Ruhmlosen herauszutreten. Deshalb stemmen sie Hanteln, schwitzen drei Eimer pro Tag und gockeln bei Mister-Wahlen. Um dem desolaten Schicksal eines nobody zu entkommen. Und wäre es mit einem Body, der aussieht wie mit 300 Atü Lachgas vollgepumpt.
Am nächsten Morgen gibt es Frühstück im Bett, um sieben wird wie vereinbart an der Tür geklopft. Die Freundlichkeit der Australier hört nicht auf, nein, sie legt zu. Ich habe keine Ahnung, warum gerade jetzt, aber mit freudiger Dankbarkeit will ich es annehmen.
Vor Wochen erzählte mir jemand von Bonegilla, Australiens erstem, gröÃtem und am längsten funktionierendem â 1947 bis 1971 â »Migranten-Zentrum«. Ich nehme ein Taxi zu dem zehn Kilometer entfernten Lager. Es liegt auÃerhalb jedes Wohngebiets. Als ich morgens ankomme, ist kein Mensch zu sehen, von den 24 Baracken-Siedlungen existiert noch eine Sektion, »Block 19«. Vöglein zwitschern unter dem blauen Himmel, ein Brise weht, man hört das Summen der Bienen, am Eingang kann man nachlesen, dass man »auf eigenes Risiko das Gelände betritt«.
Viele der Asylanten wurden schon in den Flüchtlingslagern in Europa ausgesucht. Jung sollten sie sein, kräftig, gesund und mit einer fair complexion , schön weiÃrassig. Die Unfitten mussten zurückbleiben. Strikte medizinische Check-ups wurden durchgeführt, Australien hatte nichts zu verschenken. Ein Handel fand statt. Die einen stellten ihr Land zur Verfügung, die anderen ihre Arbeitskraft. Wer die lange Reise antrat, musste sich zudem schriftlich verpflichten, mindestens zwei Jahre in der neuen Heimat zu arbeiten. In jedem Antrag stand â ganz gleich, welchen Beruf der Antragsteller ausübte â labourer , Arbeiter, Hilfsarbeiter. Demütigend aber effektiv, denn somit konnte jeder zu einem hard labouring job geschickt werden. Schienen legen, auf gottverlassenen Höfen schuften, StraÃenbau in der Wüste.
Natürlich, kein Kontrollsystem der Welt verhindert
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