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Im Land der Regenbogenschlange

Im Land der Regenbogenschlange

Titel: Im Land der Regenbogenschlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Altmann Andreas
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sich sogar Garry, den Schmied, der für Touristen nichts als Kelly-Rüstungen schmiedet. Jenen grotesken Eisenhelm und grotesken Brustpanzer, die ihn gegen die Gewehrkugeln einer gewaltigen Übermacht schützen sollten.
    Viel aufregender als die tapsigen Versuche des Stadtoberhaupts sind die Einfälle Robert Hempels, des Besitzers von Ned Kelly's Last Stand – Animated Theatre . Ein rasant kitischiger, naturalistischer, höchst unterhaltsam und mit modernster Technik inszenierter Budenzauber, der jeden Cent seiner 18 Dollar Eintritt wert ist. Das ist der wahre Grund, warum keiner Glenrowan übersehen darf.
    Erster Raum: Man sitzt im Dunkeln, plötzlich flackern Kerzen, plötzlich brennt ein Kaminfeuer, man hört das ferne Rattern eines Zuges und sieht mitten auf der Bühne Polizei-Bosse, sprechende Attrappen, die einen Plan aushecken, um den meistgesuchten Verbrecher zu überlisten. Zur Dramatisierung der Szene faucht ein Sturm, schlägt heftiger Regen an die Fenster. Zweiter Raum: Ein volles Wirtshaus, Betrunkene, einer pisst in eine Schüssel, einer hängt alkohol-ohnmächtig in der Deckenbeleuchtung, Kelly hält eine Rede, erklärt seine Strategie, um der Staatsmacht zu entkommen. Dritter Raum: Ein Hinterhof, der Endkampf, die vier Desperados gegen die Bullen, Rauch steigt auf, Schüsse knallen, Schreie, ein Schlachtfeld. Vierter und letzter Raum: Kelly liegt im Sarg, finster beleuchtet, wieder der unheilvoll pfeifende Wind. Unheimliche Sekunden, bis ein furchtbares Krachen die Stille zerfetzt, sich plötzlich die Decke oberhalb des Toten öffnet, der gehenkte Kelly nach unten saust und zuletzt über dem anderen Kelly baumelt, der bereits starr in der Kiste liegt. Wie in einer Geisterbahn zuckt man zurück, schreit voll schreckhafter Freude über den abstrusen Einfall.
    Selig tritt man nach 45 Minuten wieder ins Freie, schon siegessicher vom Erfinder und Besitzer der Show erwartet. Neue Pläne, erfährt man, geistern ihm durch den Kopf. Noch mehr Schrecken, Blitz und Donner sollen den Zuschauer das Fürchten lehren. Und natürlich – der wievielte bin ich, dem er die Anekdote erzählt? – werde ich darüber in Kenntnis gesetzt, dass Filmregisseur George Lucas hier war (er drehte in Australien eine Star Wars- Episode) und dem Daniel Düsentrieb aus Glenrowan den schwerwiegenden Satz mitteilte: »You are to be commended for your vision and your intestinal fortitude«, Leute wie Sie verdienen Anerkennung für ihre visionären Talente und ihre innere Stärke! Wann immer jetzt einer mault und an der Kitschorgie herumkrittelt, wird der Amerikaner zitiert. Worauf stets – so Robert, der Geadelte – Ehrfurcht heischende Stille ausbricht. Ein Genie hat gesprochen, Silentium, bitte!
    Endlich kapiere ich. Die größte Sensation in dem 350-Einwohner-Kaff ist Mister Hempel, er ganz allein. Die Show kommt erst nach ihm. Der 71-Jährige sprüht, eine kindliche Lebensfreude geht von ihm aus. Er wuchs in einem Vaudeville-Theater auf, wo seine Mutter als Köchin arbeitete. Eine Löwin, die er liebte, und die ein scavenger war, eine, die kämpfte, um ihn durchzubringen. Magere Zeiten damals. Der Vater war ein Schwein, das erfreulicherweise früh starb. Robert jr. zog den Vorhang hoch und starrte jeden Abend auf die Mädchen, die hochhackig, barbusig und federngeschmückt auf dem Podium des Tivoli standen. Sonst nichts, nur standen. Im Zuschauerraum lauerte schon die Polizei, denn solange – wie närrisch – die Riege sich nicht bewegte, war der Sitte Genüge getan. Sobald die Schönen aber das eine Bein vor das andere setzten, stürmten die Ordnungshüter nach oben und verhafteten die Gesetzesbrecherinnen. Sofort Riesenradau, Raufereien, für eine Nacht mussten die Sittenlosen in die Zelle. Was nur Entzücken beim Tivoli-Chef auslöste, denn am übernächsten Tag stand der Bischof von Melbourne in der Zeitung, der wieder einmal den Untergang Australiens und des Abendlandes beklagte. Was sich immer als Bombenwerbung entpuppte, denn jetzt strömte noch mehr Publikum zur Vorstellung, harrten noch mehr Besucher begierig darauf, ob die Provokation stattfinden würde oder nicht. Damals, so Hempel, habe er sich in die Schönheit der Frau verliebt, habe begriffen, so drückt er es aus, »dass wohl nichts Schöneres zwischen Himmel und Erde existiert«. Hat es noch inniger begriffen, als

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