Im Land der weissen Rose
sondern bei der Geburt eines
unglücklichen Geschwisterchens.
Gwyneira dagegen war halbwegs optimistisch – auch an jenem
nebligen Tag Ende August, an dem Helen sich besonders schlecht und
deprimiert fühlte. Howard war schon am Morgen nach Haldon
gefahren; er wollte einen neuen Schuppen bauen, und das Holz dafür
war endlich eingetroffen. Doch er würde das Baumaterial sicher
nicht einfach aufladen und wieder abfahren, sondern noch auf ein Bier
und ein Kartenspiel im Pub einkehren. Dorothy molk die Kuh, während
Gwyneira Helen Gesellschaft leistete. Ihre Kleider waren klamm nach
dem Ritt im Nebel, und sie fror. Umso mehr freute sie sich über
Helens Kamin und den Tee.
»Matahorua macht das schon«, meinte sie, als Helen von
Dorothys Ängsten erzählte. »Ach, ich wünschte,
ich wäre an deiner Stelle! Ich weiß, du fühlst dich
im Moment miserabel,aber du solltest erst sehen, wie es mir geht. Mr.
Gerald macht inzwischen jeden Tag Andeutungen,und er ist nicht der
Einzige.Auch die Damen in Haldon sehen mich so ... so prüfend
an, als wäre ich eine Stute auf einer Zuchtschau. Und Lucas
scheint mir ebenfalls böse zu sein. Wenn ich nur wüsste,
was ich falsch mache!« Gwyneira spielte mit ihrer Teetasse. Sie
war den Tränen nahe.
Helen runzelte die Stirn. »Gwyn, eine Frau kann dabei nichts
falsch machen! Du wehrst ihn doch nicht ab, oder? Du lässt ihn
doch machen?«
Gwyn verdrehte die Augen. »Was denkst du denn! Ich weiß,
dass ich ruhig liegen soll.Auf dem Rücken. Und ich bin
freundlich und umarme ihn und alles... was soll ich denn noch tun?«
»Das ist mehr, als ich getan habe«, bemerkte Helen.
»Vielleicht brauchst du einfach mehr Zeit. Du bist ja viel
jünger als ich.«
»Umso einfacher sollte es gehen«, seufzte Gwyn. »Das
sagte jedenfalls meine Mutter. Ob es vielleicht doch an Lucas liegt?
Was bedeutet eigentlich ›Schlappschwanz‹?«
»Gwyn, wie kannst du!« Helen war entsetzt, einen
solchen Ausdruck aus dem Mund ihrer Freundin zu hören. »So
etwas sagt man nicht!«
»Die Männer sagen es, wenn sie von Lucas sprechen.
Natürlich nur, wenn er nicht hinhört. Wenn ich wüsste,
was es bedeutet ...«
»Gwyneira!« Helen stand auf und wollte nach dem
Teekessel auf dem Herd greifen. Aber dann schrie sie auf und fasste
an ihren Leib. »Oh nein!«
Zu Helens Füßen breitete sich eine Pfütze aus.
»Mrs. Candler sagt, so fängt es an!«, stieß
sie hervor. »Aber es ist doch erst elf Uhr morgens. Das ist so
peinlich ... kannst du das wegwischen, Gwyn?« Sie taumelte zu
einem Stuhl.
»Das ist Fruchtwasser«, meinte Gwyn. »Stell dich
nicht an, Helen, es ist nicht peinlich. Ich bringe dich ins Bett, und
dann schicke ich Dorothy zu Matahorua.«
Helen krampfte sich zusammen. »Es tut weh, Gwyn, es tut so
weh!«
»Das ist gleich vorbei«, behauptete Gwyneira, nahm
Helen energisch am Arm und führte sie ins Schlafzimmer. Dort zog
sie Helen aus, half ihr in ein Nachthemd, beruhigte sie nochmals und
lief dann in den Stall, um Dorothy zu den Maoris zu schicken. Das
Mädchen brach in Tränen aus und rannte kopflos aus dem
Stall. Hoffentlich in die richtige Richtung! Gwyneira überlegte,
ob es besser gewesen wäre, selbst zu reiten, doch ihre Schwester
hatte Stunden gebraucht, um ihr Kind zur Welt zu bringen.Also würde
es bei Helen wohl auch nicht gar so schnell gehen. Und Gwyn war ihr
sicher ein besserer Trost als die jammernde Dorothy.
Gwyn wischte also die Küche und kochte derweil neuen Tee, den
sie Helen ans Bett brachte. Die hatte jetzt regelmäßige
Wehen.Alle paar Minuten schrie sie auf und verkrampfte sich. Gwyneira
nahm ihre Hand und sprach ihr gut zu. Inzwischen war eine Stunde
vergangen. Wo blieb Dorothy mit Matahorua?
Helen schien gar nicht zu merken, wie die Zeit verging, doch Gwyn
wurde immer nervöser. Was, wenn Dorothy sich wirklich verlaufen
hatte? Erst nach mehr als zwei Stunden hörte sie endlich
jemanden an der Tür. Übernervös schreckte Gwyneira
auf.Aber natürlich war es nur Dorothy. Sie weinte immer noch.
Und bei ihr war nicht wie erhofft Matahorua, sondern Rongo Rongo.
»Sie kann nicht kommen!«, schluchzte Dorothy. »Jetzt
noch nicht. Sie ...« »Kommt noch andere Baby«,
erklärte Rongo mit Gemütsruhe. »Und ist schwer. Ist
früh, Mama krank. Muss sie bleiben. Sie sagen, Miss
Weitere Kostenlose Bücher