Im Land der weissen Rose
Gerald
scheuchte sie ungeduldig davon.
»Lass es, Mädchen! Mir ist sowieso der Appetit
vergangen. Verschwinde, geh zu deiner Freundin ... oder lass dich
auch schwängern.Aber lass mich bloß in Ruhe!«
Der alte Mann stand auf und ging zum Barschrank. Ein weiterer
doppelstöckiger Whiskey. Gwyneira ahnte, was ihr und ihrem Mann
noch bevorstand. Die Dienstboten mussten das allerdings nicht
mitbekommen.
»Du hast es gehört, Moana ... du auch, Witi. Der Herr
gibt euch heute Abend frei. Kümmert euch nicht groß um die
Küche.Wenn uns noch danach ist, hole ich den Nachtisch selbst.
Den Teppich könnt ihr morgen säubern. Genießt den
Abend.«
»Im Dorf machen Regentanz, Miss Gwyn«, erklärte
Witi, wie um sich zu entschuldigen. »Das nützlich.«
Wie um es zu beweisen, öffnete er die obere Hälfte der
Halbtür zur Terrasse. Gwyneira hoffte, dass dadurch ein Lüftchen
hereinwehte, doch draußen stand noch immer die Hitze.Aus
Richtung des Maori-Dorfes waren Trommelschlag und Gesang zu
vernehmen.
»Da siehst du«, sagte Gwyn freundlich zu ihrem Diener.
»Im Dorf kannst du dich nützlicher machen als hier. Geht
einfach. Mr. Gerald fühlt sich nicht wohl ...«
Sie atmete auf, als die Tür sich hinter den Dienstboten
schloss. Moana und Witi würden garantiert keine Zeit damit
verlieren, womöglich noch die Küche aufzuräumen. Sie
würden ihre Sachen zusammensuchen und in wenigen Minuten
verschwunden sein.
»Ein Sherry auf den Schreck, meine Liebe?«, fragte
Lucas.
Gwyn nickte. Sie wünschte sich nicht zum ersten Mal, sich
auch einmal so hemmungslos betrinken zu dürfen wie die Männer.
Doch Gerald ließ ihr keine Sekunde Zeit, ihren Sherry zu
genießen. Er hatte seinen Whiskey schnell hinuntergekippt und
starrte die beiden jetzt mit roten Augen an.
»Dieses Maori-Flittchen ist also auch schwanger. Und der
alte O’Keefe hat einen Sohn.Alle hier sind fruchtbar, überall
blökt und schreit und jault es. Nur bei euch tut sich nichts.
Woran liegt’s, Miss Prüderie und Mister Schlappschwanz? An
wem liegt’s?«
Gwyn blickte beschämt in ihr Glas. Das Beste war, einfach
nicht hinzuhören. Von draußen klangen nach wie vor
Trommelschläge. Gwyn versuchte, sich darauf zu konzentrieren und
Gerald zu vergessen. Lucas verlegte sich dagegen auf beruhigenden
Zuspruch.
»Wir wissen nicht, woran es liegt, Vater. Wahrscheinlich ist
es Gottes Wille. Du weißt, dass nicht jede Ehe mit vielen
Kindern gesegnet wird. Mutter und du, ihr hattet ja auch nur mich
...«
»Deine Mutter ...« Gerald griff noch einmal zur
Flasche. Er machte sich jetzt nicht mehr die Mühe, sich ein Glas
einzuschenken, sondern setzte sie direkt an den Mund. »Deine
wunderschöne Mutter hat nur an diesen Kerl gedacht, diesen ...
Jede Nacht hat sie mir die Ohren voll geheult, da vergeht auch dem
besten Stecher die Lust.« Gerald warf einen hasserfüllten
Blick auf das Porträt seiner verstorbenen Gattin.
Gwyneira bemerkte es mit wachsender Furcht. So weit hatte der alte
Mann sich noch nie gehen lassen. Bislang war von Lucas’ Mutter
immer nur mit Hochachtung gesprochen worden. Gwyn wusste, dass Lucas
ihrAndenken vergötterte.
Bislang hatte Gwyneira nur Unwillen verspürt, jetzt aber
stieg Angst in ihr auf.Am liebsten wäre sie davongelaufen. Sie
suchte nach einem Vorwand, doch es gab kein Entrinnen. Gerald hätte
ihr ja nicht einmal zugehört. Stattdessen wandte er sich jetzt
wieder an Lucas.
»Aber ich hab nicht versagt!«, tönte er mit
schwerer Zunge. »Denn du bist wenigstens männlich ... oder
siehst zumindest so aus!Aber bist du’s wirklich, Lucas Warden?
Bist du ein Mann? Nimmst du deine Frau wie ein Mann?« Gerald
stand auf und ging in drohender Haltung auf Lucas zu. Gwyneira sah
lodernde Wut in seinen Augen.
»Vater ...«
»Antworte, Schlappschwanz! Weißt du, wie es geht? Oder
bist du ein warmer Bruder, wie sie im Stall munkeln? Oh ja, sie
munkeln, Lucas! Der kleine Jonny Oates meint, du wirfst ihm Blicke
zu. Er kann sich deiner kaum erwehren ... stimmt das?«
Gerald funkelte seinen Sohn an.
Lucas’ Gesicht verfärbte sich blutrot. »Ich werfe
niemandem Blicke zu«, flüsterte er. Zumindest hatte er es
nicht bewusst getan. Konnte es sein, dass diese Männer ein
Gespür für seine geheimsten, sündigsten Gedanken
hatten?
Gerald
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