Im Land Der Weissen Wolke
Schlafhaus – auch wenn der Stamm jetzt nicht zugegen ist. Ein paar unserer Ahnen werden schon da sein, um es zu bezeugen. Ich, Marama, Nachkomme derer, die mit der uruao nach Aotearoa gekommen sind, will dich, Paul Warden! So sagt man bei euch, nicht wahr?«
»Es ist schon noch ein bisschen komplizierter ...«, meinte Paul. Er wusste nicht recht, was er davon halten sollte, aber Marama war heute wunderschön. Sie trug ein buntes Stirnband, hatte sich eine Decke um die Hüften gewunden, und ihre Brüste waren entblößt. Paul hatte sie nie so gesehen; im Haus der Wardens und in der Schule trug sie stets züchtige, westliche Kleidung. Jetzt aber stand sie hier vor ihm, halb nackt, mit glänzender, hellbrauner Haut, sanfte Glut in den Augen – und sie sah ihn an, wie papa zu rangi aufgesehen haben musste. Sie liebte ihn. Vorbehaltlos, egal was er war und was er getan hatte.
Paul legte die Arme um sie. Er wusste nicht genau, ob Maoris sich zu solchen Anlässen küssten, also rieb er nur seine Nase sanft an ihrer. Marama kicherte, als sie daraufhin niesen musste. Dann nahm sie ihre Decke ab. Paul stockte der Atem, als sie gänzlich nackt vor ihm stand. Sie war zarter gebaut als die meisten Frauen ihrer Rasse, doch ihre Hüften waren breit, die Brüste voll, ihr Gesäß üppig. Paul schluckte, doch Marama breitete die Decke ganz selbstverständlich auf dem Boden aus und zog Paul zu sich herunter.
»Du willst doch auch mein Mann sein, oder?«, fragte sie.
Paul hätte jetzt antworten müssen, nie daran gedacht zu haben. Bis jetzt hatte er ohnehin selten an eine Ehe gedacht, und wenn, dann an eine arrangierte Verbindung mit einem netten Mädchen weißer Hautfarbe – vielleicht einer Tochter der Greenwoods oder der Barringtons, das wäre passend. Aber welchen Ausdruck würde er in den Augen dieses Mädchens sehen? Würde sie ihn verabscheuen wie seine Mutter? Zumindest würde sie Vorbehalte haben. Spätestens jetzt, nach dem Mord an Howard. Und würde er sie lieben können? Würde er nicht immer wachsam sein, argwöhnisch?
Marama zu lieben war dagegen einfach. Sie war da, willig und zärtlich, ihm völlig ergeben ... Nein, das stimmte nicht, sie war eigenständig. Er hatte sie nie zu etwas zwingen können. Aber er hatte es auch nie gewollt. Vielleicht war dies ja das Wesen der Liebe: Sie musste freiwillig gegeben werden. Eine gezwungene Liebe wie die seiner Mutter war nichts wert.
Also nickte Paul. Aber dann erschien es ihm nicht genug. Es war nicht fair, ihre Liebe nur nach ihrem Ritus zu bestätigen, es musste auch nach dem seinen geschehen.
Paul Warden erinnerte sich an die Trauformel.
»Ich, Paul, nehme dich, Marama, vor Gott und den Menschen ... und den Ahnen ... zu meinem angetrauten Weib ...«
Von diesem Moment an war Paul ein glücklicher Mann. Er lebte mit Marama wie ein Paar bei den Maoris. Er jagte und fischte, während sie kochte und versuchte, einen Garten anzulegen. Ein wenig Saatgut hatte sie mitgebracht – es hatte seinen Grund gehabt, dass ihr schwer beladenes Maultier mit seinem Pferd nicht Schritt halten konnte –, und Marama freute sich wie ein Kind, als die Saat aufging. Am Abend unterhielt sie Paul mit Geschichten und Gesang. Sie erzählte von ihren Ahnen, die vor unendlich langer Zeit mit dem Kanu uruao aus Polynesien nach Aotearoa gekommen waren. Jeder Maori, so verriet sie Paul, war voller Stolz auf das Kanu, mit dem seine Vorfahren gereist waren. Bei offiziellen Anlässen nannten sie dieses Kanu wie einen Bestandteil ihres Namens. Natürlich kannte auch jeder die Geschichte von der Entdeckung des neuen Landes. »Wir kamen aus einem Land namens Hawaiki«, berichtete Marama, und ihre Erzählung klang wie ein Lied. »Damals gab es einen Mann mit Namen Kupe, der ein Mädchen namens Kura-maro-tini liebte. Aber er konnte sie nicht heiraten, denn sie hatte bereits seinem Vetter Hoturapa im Schlafhaus beigelegen.«
Paul erfuhr, dass Kupe Hoturapa ertränkte und deshalb aus dem Land fliehen musste. Und wie Kura-maro-tini, die mit ihm ging, eine wunderschöne weiße Wolke über dem Meer stehen sah, die sich dann als das Land Aotearoa entpuppte. Marama sang von gefährlichen Kämpfen mit Kraken und Geistern bei der Landnahme und von Kupes Rückkehr nach Hawaiki.
»Er erzählte den Menschen dort von Aotearoa, fuhr aber nie zurück. Er fuhr nie zurück ...«
»Und Kura-maro-tini?«, fragte Paul. »Hat Kupe sie einfach verlassen?«
Marama nickte traurig.
»Ja. Sie blieb allein ... aber sie
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