Im Land Der Weissen Wolke
Empfang nahm. Der Posthalter überreichte ihm das Schreiben geradezu feierlich.
»Aus Wellington!«, erklärte er gewichtig. »Von der Regierung! Wirste jetzt geadelt, Rube? Kommt die Queen vorbei?«
Ruben lachte. »Unwahrscheinlich, Ethan, äußerst unwahrscheinlich.« Er bezähmte sein Verlangen, den Umschlag gleich aufzureißen, denn Ethan schaute ihm allzu neugierig über die Schulter, und auch Ron vom Mietstall hing schon wieder in dessen Laden herum.
»Ich sehe euch dann später!«, verabschiedete er sich scheinbar gelassen, aber schon auf dem Weg zum Warenhaus spielte er mit dem Umschlag – und änderte dann auch die Route, als er beim Police Office vorbeikam. Das hier ging zweifellos McKenzie an. Also sollte der auch aus erster Hand erfahren, wie der Gouverneur entschieden hatte.
Kurz darauf beugten sich Ruben, McDunn und McKenzie ungeduldig über das Schreiben. Alle stöhnten über die langen Vorreden des Gouverneurs, in denen er zuerst einmal Rubens sämtliche Verdienste um das Gedeihen der jungen Stadt Queenstown hervorhob. Dann aber kam der Gouverneur endlich zur Sache:
... freuen wir uns, Sie in der Bitte um Begnadigung des Viehdiebs James McKenzie, dessen Fall Sie uns so erhellend dargelegt haben, positiv bescheiden zu können. Auch wir sind der Meinung, dass McKenzie dem jungen Gemeinwesen auf der Südinsel nützlich sein kann, sofern er sich in Zukunft auf den legalen Einsatz seiner zweifellos vorhandenen Begabungen beschränkt. Wir hoffen, damit auch und besonders im Sinne von Mrs. Gwyneira Warden zu handeln, die wir in einem anderen, uns zur Entscheidung vorgelegten Fall leider soeben enttäuschen mussten. Bitte bewahren Sie über letztgenannten Vorfall noch Stillschweigen, das Urteil wurde den Beteiligten bislang noch nicht zugestellt ...
»Verdammt, das ist die Maori-Sache!«, seufzte James. »Arme Gwyn ... und wie es aussieht, steht sie damit auch noch völlig allein. Ich sollte sofort nach Canterbury aufbrechen.«
McDunn nickte. »Von mir aus steht der Sache nichts im Wege«, sagte er grinsend. »Im Gegenteil, dann wird in meinem Grand Hotel endlich wieder ein Zimmer frei!«
»Ich sollte mich Ihnen eigentlich gleich anschließen, James«, sagte Helen mit leichtem Bedauern. Die eifrigen Zwillinge hatten eben den letzten Gang eines großen Abschiedsessens serviert – Fleurette hatte darauf bestanden, ihren Vater wenigstens noch einmal bei sich zu bewirten, bevor er womöglich für Jahre in Canterbury verschwand. Natürlich hatte er geschworen, sie gemeinsam mit Gwyneira möglichst bald zu besuchen, aber Fleur wusste, wie es auf großen Schaffarmen zuging: Irgendetwas machte die Betreiber immer unabkömmlich.
»Es war wunderschön hier, aber so langsam muss ich mich wieder um die Farm kümmern. Und ich will euch auch nicht ewig zur Last fallen.« Helen faltete ihre Serviette zusammen.
»Du fällst uns doch nicht zur Last!«, sagte Fleurette. »Im Gegenteil! Ich wüsste gar nicht, was wir ohne dich machen sollten, Helen!«
Helen lachte. »Lüg nicht, Fleur, das konntest du noch nie. Im Ernst, Kind, so gut es mir hier gefällt – ich muss mal wieder etwas zu tun haben! Ich habe mein Leben lang unterrichtet. Jetzt nur herumzusitzen und ein bisschen mit den Kindern zu spielen, scheint mir vergeudete Zeit.«
Ruben und Fleurette blickten sich an. Sie schienen sich nicht sicher zu sein, wie sie die Sache anfangen sollten. Schließlich ergriff Ruben das Wort.
»Also schön, wir wollten dich eigentlich erst später fragen, wenn alles unter Dach und Fach ist«, sagte er mit Blick auf seine Mutter. »Aber bevor du jetzt überstürzt wegläufst, kommen wir besser gleich damit heraus. Fleurette und ich – und Leonard McDunn, nicht zu vergessen – haben schon darüber nachgedacht, was du hier anfangen könntest.«
Helen schüttelte den Kopf. »Ich habe mir die Schule bereits angesehen, Ruben, das ...«
»Vergiss doch die Schule, Helen!«, meinte Fleur. »Das hast du nun lange genug gemacht. Wir dachten ... also, zunächst mal planen wir, eine Farm vor der Stadt zu kaufen. Oder eher ein Haus, an Farmbetrieb dachten wir weniger. Aber hier auf der Main Street wird es uns etwas zu betriebsam. Zu laut, zu viel Verkehr ... ich wünsche mir mehr Freiheit für die Kinder. Kannst du dir vorstellen, Helen, dass Stephen noch nie eine Weta gesehen hat?«
Helen fand, ihr Enkel könnte auch ohne diese Erfahrung unbeschadet groß werden.
»Jedenfalls werden wir aus diesem Haus ausziehen«, erklärte
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