Im Land Der Weissen Wolke
Miss Fleur: Wie in drei Teufels Namen meinte Miss Helen das mit dem Maultier?«
15
Paul Warden hatte sich noch nie so glücklich gefühlt.
Eigentlich verstand er selbst nicht, was mit ihm geschehen war. Schließlich kannte er Marama von Kindheit an; sie war immer Bestandteil seines Lebens und oft genug lästig gewesen. Auch jetzt hatte er nur mit gemischten Gefühlen erlaubt, dass sie sich bei seiner Flucht ins Hochland anschloss – und am ersten Tag war er regelrecht wütend geworden, weil ihr Maultier hoffnungslos langsam hinter seinem Pferd hertrottete. Marama war ein Klotz am Bein, er brauchte sie nicht.
Jetzt schämte sich Paul dafür, was er ihr während dieses Rittes alles an den Kopf geworfen hatte. Das Mädchen aber hatte gar nicht hingehört; sie schien niemals hinzuhören, wenn Paul seine Bosheiten verbreitete. Marama sah nur seine guten Seiten. Sie lächelte, wenn er freundlich war, und schwieg, wenn er sich gehen ließ. Die eigene Wut an Marama auszulassen machte keinen Spaß. Paul hatte das schon als Kind gewusst, weshalb sie nie Zielscheibe seiner Streiche geworden war. Und jetzt ... Irgendwann in den letzten Monaten hatte Paul herausgefunden, dass er Marama liebte. Irgendwann, als er feststellte, dass sie ihn nicht gängelte, ihn nicht kritisierte, dass sie keinen Abscheu überwinden musste, wenn sie ihn ansah. Marama hatte ihm selbstverständlich geholfen, einen guten Lagerplatz zu finden. Weit weg von den Canterbury Plains, in dem neu entdeckten Landstrich, den sie die McKenzie Highlands nannten. Für die Maoris war er allerdings nicht neu, erklärte Marama. Sie war mit ihrem Stamm einmal hier gewesen – schon als kleines Kind.
»Weißt du nicht mehr, wie du geweint hast, Paul?«, fragte Marama nun mit ihrer singenden Stimme. »Wir waren doch bis dahin immer zusammen gewesen, und du hast Kiri ›Mutter‹ genannt, genau wie ich. Aber dann war die Ernte schlecht, und Mr. Warden trank immer mehr und hatte Wutanfälle. Viele Männer mochten nicht für ihn arbeiten, und es war auch noch lange hin bis zur Schur ...«
Paul nickte. Gwyneira pflegte den Maoris in solchen Jahren einen Vorschuss zu geben, um sie bis zu den arbeitsreichen Monaten im Frühjahr bei sich zu halten. Das war allerdings ein Risiko: Ein Teil der Männer blieb zwar und erinnerte sich später auch an das gezahlte Geld; ein anderer Teil aber nahm das Geld und verschwand, und wieder andere hatten die Vorauszahlung nach der Schur vergessen und forderten mit rüden Worten das volle Gehalt. Gerald und Paul hatten sich deshalb in den letzten Jahren nicht darauf eingelassen. Sollten die Maoris ruhig wandern. Bis zur Schur würden sie schon zurück sein, und wenn nicht, fanden sich andere Aushilfen. Daran, dass er selbst einmal Opfer dieser Politik geworden war, erinnerte Paul sich nicht.
»Kiri hat dich deiner Mutter in den Arm gegeben, aber du hast nur geweint und geschrien. Und deine Mutter sagte, von ihr aus könnten wir dich mitnehmen, und Mr. Gerald hat sie deshalb beschimpft. Ich weiß das auch nicht mehr alles, Paul, aber Kiri hat es mir später erzählt. Sie sagt, du hast uns immer übel genommen, dass wir dich zurückließen. Aber was konnte sie denn tun? Miss Gwyn hat das sicher auch nicht so gemeint, sie hatte dich doch lieb.«
»Sie hat mich nie gemocht!«, meinte Paul hart.
Marama schüttelte den Kopf. »Nein. Ihr wart nur zwei Bäche, die nicht zusammenfließen. Vielleicht findet ihr euch ja eines Tages. Alle Bäche fließen zum Meer.«
Paul wollte nur ein primitives Lager aufschlagen, aber Marama wünschte sich ein richtiges Haus.
»Wir haben doch sonst nichts zu tun, Paul!«, sagte sie gelassen. »Und du musst bestimmt länger wegbleiben. Warum sollten wir da frieren?«
Also fällte Paul ein paar Bäume – eine Axt fand sich in den schweren Satteltaschen, die Maramas Maultier schleppte. Er zog sie mit Hilfe des geduldigen Mulis auf eine Ebene an einem Bachlauf. Marama hatte die Stelle ausgewählt, weil gleich daneben mehrere gewaltige Felsen aus dem Boden ragten. Die Geister wären hier glücklich, behauptete sie. Und glückliche Geister seien auch neuen Siedlern gewogen. Sie bat Paul, ein paar Schnitzereien an ihrem Haus vorzunehmen, damit es schön aussah und papa sich dadurch nicht beleidigt fühlte. Als es endlich ihren Vorstellungen entsprach, führte sie Paul feierlich in den relativ großen, leeren Innenraum.
»Jetzt nehme ich dich zum Mann!«, verkündete sie ernst. »Ich liege dir bei in einem
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