Im Mond des Raben
sie das Bild um sie herum erhalten musste, noch mehr an ihren Kräften zehrte, blieb ihr bis zur Rückkehr ihres Gefährten gar nichts anderes zu tun übrig.
Wenn sie nur sich selbst hätte beschützen müssen, hätte sie den Clach Gealach Gra genommen und wäre damit auf einen Baum geklettert. Sich in Rabengestalt zwischen dem Blattwerk zu verstecken wäre wesentlich einfacher gewesen, als das Bild einer leeren Stelle neben dem Bach um sich und das Pferd herum zu erschaffen.
Doch sie konnte den Hengst nicht in Gefahr bringen. Er gehörte ihrem Gefährten und besaß daher auch großen Wert für sie. Zum Glück tat das Pferd das Seinige, indem es eine Ruhe bewahrte, die sie einem so großen Tier nicht zugetraut hätte.
Sabrine verlor das Gefühl dafür, wie lange Barr schon fort war, und sie wurde immer schwächer und müder. Sie fiel schon fast in Trance, während ihr Rabe das schützende Bild aufrechterhielt.
Erst die laute Stimme ihres Gefährten in ihrem Kopf riss sie aus ihrem tranceartigen Zustand und holte sie von jenem fernen Ort zurück, an dem sich ihre Gabe äußerte. Das Bild fiel in sich zusammen, als sie den Schutzschild losließ, weil sie wusste, dass Barr schon nahe genug war, um sie, das stoische Pferd, das sie inzwischen für regelrecht genial hielt, und den heiligen Stein zu beschützen.
Plötzlich war er da, direkt vor ihr, und zog sie in seine starken Arme. »Wo warst du? Was war das? Was ist los?« Die Fragen sprudelten in so schneller Folge aus ihm heraus, wie Sabrine es von ihrem sonst so unerschütterlichen Gefährten überhaupt nicht kannte.
Sie versuchte, etwas zu sagen, doch kein Wort kam über ihre Lippen. Mehrmals räusperte sie sich, befeuchtete die Lippen und krächzte dann: »Musste Stein und Pferd beschützen.«
Barr stöhnte.
»Ein kluges Tier, glaub …« Ihre Stimme versagte, und ihre Kehle zog sich zusammen. »Durst.«
Barr ließ sie los, doch bevor sie Gelegenheit bekam, sich auch nur im Geiste zu beklagen, kam er schon mit dem Trinkschlauch wieder. Die Flüssigkeit belebte sie ein wenig, als sie gierig trank.
Dann hielt sie inne, um nach Luft zu schnappen, und lehnte sich nach einem weiteren großen Schluck aus dem Schlauch an Barrs harte Brust. »So«, sagte sie leise.
Ein seltsam erstickter Laut kam aus seiner Kehle. »Du warst nicht hier, als ich zurückkam. Ich dachte, du wärst mit dem Pferd zu einem sichereren Ort geritten, aber es waren keine Hufspuren zu sehen.«
»Ich kann nicht reiten, das weißt du doch.«
»Du wirst es lernen.«
Inzwischen hielt sie das sogar für möglich. »Und du wirst es mir beibringen.«
»Aye. Kein anderer.«
»Ich mag dein Pferd. Es hat sich völlig ruhig verhalten.«
»Es mag dich sicher auch.« Der entgegenkommende Ton ihres Gefährten stellte eine große Verbesserung gegenüber seiner Kälte vom Tag zuvor dar.
Er mochte keine Geheimnisse; das war ihr inzwischen klar geworden.
»Ich kann einen Abwehrschild errichten, durch den niemand hindurchsehen kann, und ich kann auch die Gerüche damit abschirmen, nur Geräusche kann ich leider nicht verbergen.«
»Was für eine Art Magie ist das?«, fragte er in ehrfürchtigem Ton, der ein schwaches Lächeln auf Sabrines Lippen zauberte.
»Es ist die Gabe, die mir bei meiner Volljährigkeit von dem Clach Gealach Gra verliehen wurde.«
»Sie ist fantastisch.«
»Aber sehr ermüdend, wenn man sie in so großem Stil anwendet. Und dein Pferd ist nun mal nicht gerade klein.« Außerdem hatte sie das schützende Bild – sie blickte zum Himmel auf – diesmal für fast eine Stunde aufrechterhalten müssen.
»Du hättest den Stein nehmen und dich auf einem Baum verstecken können.«
»Ja, aber das Raubtier, das dich dazu veranlasste, in deiner Wolfsgestalt nach ihm zu suchen, hätte derweil das Pferd angreifen können.«
»Ich weiß nicht, was ich suchte, doch ich habe nichts gefunden. Es gab weder Spuren, noch konnte ich irgendeine Witterung aufnehmen.«
»Warum bist du dann gegangen?«
»Weil mein Wolf mich vor Gefahren warnte.«
»Und die Instinkte eines Faol sind zuverlässig.«
»Aye.«
»Dann sollten wir uns auf den Weg machen«, sagte sie.
»Aye.«
Diesmal nahm er sie auf den Schoß, als sie das Pferd bestiegen, und sie schlief ein wenig an seiner Brust und vertraute ihre Sicherheit seinen starken Armen an. Es war eine völlig neue Erfahrung für Sabrine, als sie sich von der Anstrengung erholte, die es bedeutet hatte, sich selbst und sein Pferd zu beschützen.
Die
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