Im Namen der Engel
gründlich abzutrocknen. Zitternd vor Angst und Aufregung saß sie hinten im Rettungswagen. »Es war absolut irre«, wiederholte sie. »Eigentlich wollte ich das blöde Unwetter abwarten. Und wissen Sie, was dann passiert ist?« Sie starrte mit weit aufgerissenen Augen zu Bree hoch. Einer der Sani täter reichte ihr eine Tasse mit heißem Tee, den sie dankbar lächelnd entgegennahm, um ihn in großen Schlucken zu trinken.
Bree schwante, was geschehen war. »Etwas hat Sie veranlasst, das Gebäude doch zu verlassen?«, sagte sie.
Chastity beugte sich vor und flüsterte Bree ins Ohr: »Bennie ist aufgetaucht!« Sie lehnte sich zurück und strich sich das klatschnasse Haar aus den Augen. »Dabei hatte ich keinen Tropfen getrunken. Ich war völlig von den Socken, so schockiert war ich.«
»Aber Angst hatten Sie keine?«
»Nein.« Sie grinste. »Der alte Zausel hat mir schon keine Angst eingejagt, als er noch lebte, und jetzt, wo er tot ist, erst recht nicht.« Verunsichert blickte sie sich um. Sam war draußen, um Anweisungen in sein Handy zu bellen. Wind und Regen nahmen zu, und die Sanitäter machten Anstalten umzukehren. »Glauben Sie, ich bin total übergeschnappt?«, fragte Chastity mit gesenkter Stimme.
»Ich glaube, er hat Sie so sehr geliebt, dass er die Grenze zwischen uns und der Dunkelheit überwunden hat«, erwiderte Bree. »Und mehr kann man von einem Mann nicht verlangen.«
Denn, weil du dringst auf Recht, so sei gewiss,
Recht soll dir werden …
Shakespeare, Der Kaufmann von Venedig
»Wissen Sie, dass Montifiore aus der Stadt geflohen ist?« Bree warf den Savannah Daily auf ihren Schreibtisch. Die Schlagzeile lautete: Baulöwe verschwunden. Polizei fahndet in fünf Staaten. »Es ist zum Verrücktwerden.«
»Richtig«, stimmte Ron ihr zu. »Immerhin können wir den Fall Skinner jetzt bald abschließen.«
»Genau das tu ich gerade.« Bree schichtete die Unterlagen über Benjamin Skinners Tod zu einem ordentlichen Stapel auf und schob ihn in eine Aktenmappe. Dann reichte sie Ron die Mappe, der diese leicht verwirrt betrachtete.
»Und was soll ich damit machen?«
»Wie wär’s, wenn Sie sie zu den anderen Akten legen würden?«, fragte Bree in honigsüßem Ton. Sie lehnte sich auf ihrem Drehstuhl zurück und legte die Füße auf den Schreibtisch. »Sam Hunter scheint der Ansicht zu sein, dass sie Montifiore über kurz oder lang schnappen wer den. Ich wünschte, ich hätte auch so viel Vertrauen zur Arbeit der Polizei. Montifiore kann inzwischen doch schon sonst wo sein.«
Ron schwenkte den Aktendeckel hin und her. »Unser Auftritt vor Gericht steht noch aus. Oder haben Sie das vergessen?«
Bree stellte die Füße auf den Boden und setzte sich gerade hin. »Mir ist nicht ganz klar, wovon Sie da eigentlich reden.«
»Sie werden sich erinnern, dass Mr. Skinner unser eigentlicher Klient ist«, sagte Ron. »Und dass er ein kleines Problem hat. Weil er nämlich der Habgier angeklagt ist. Er hat uns angeheuert, damit wir ihn verteidigen. Wir können ihn doch jetzt nicht hängen lassen, Bree. Weil ihm sonst ein langer Aufenthalt im Fegefeuer bevorsteht.«
»Tja, aber …« Bree geriet ins Schwimmen und gestikulierte mit der Hand herum. »Aber ich dachte, das sei alles erledigt. Ich meine, wir haben seinen Mörder gefunden. Wir haben ihn von jeder Schuld an dem Island-Dream-Debakel entlastet. Es steht zweifelsfrei fest, dass er versuchte, das Projekt zu stoppen, nachdem er herausgefunden hatte, dass Montifiore minderwertigen Beton benutzte.«
»Das wird Sie-wissen-schon-wen nicht sonderlich beeindrucken.« Ron warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »In dreißig Minuten haben wir einen Termin vor Gericht. Zeit genug, um noch mal die Verteidigungspunkte durchgehen zu können.« Er öffnete die Aktenmappe, sah die Papiere durch und reichte Bree ein ausgearbeitetes Plädoyer, dem die Vorladung beigeheftet war. Die Überschrift lautete :
Berufungsgericht der Neunten Sphäre
In Sachen Himmlische Sphäre vs. Skinner
»Petru hat alle relevanten Präzedenzfälle aufgeführt. Glücklicherweise gibt es davon zahlreiche. Ich glaube, das Beste wäre, wir würden uns auf den Fall Himmlische Sphäre vs. Rockefeller von 1915 berufen. Der Mann hat einen beträchtlichen Teil seines Vermögens für wohltätige Zwecke gespendet. Trotz einiger zwingender Beweise der Gegenseite entschied der Richter zugunsten des Klägers.«
»Wer hat heute den Vorsitz?«, fragte Bree mit schwacher Stimme.
Ron blätterte die Papiere
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