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Im Namen der Engel

Im Namen der Engel

Titel: Im Namen der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Stanton
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das wahrscheinlich zu schätzen wissen.
    »Dummkopf!«, sagte sie laut. Schlafmangel, das war ihr Problem. Die Wiederkehr des alten Albtraums, mit der sie in keiner Weise gerechnet hatte – auch das gehörte dazu. Ganz zu schweigen davon, dass sie Payton zur Rede stellen musste, falls er wirklich der Mistkerl war, der hinter dem angeblichen Anruf von Skinner steckte.
    Weichei. Sie war ein Weichei. Angewidert schüttelte sie den Kopf, was den Studenten am Nebentisch ein belustigtes Kichern entlockte. Dann machte sie sich auf, um auf dem Park Avenue Market einige leckere Sachen für den Lunch im Garten einzukaufen. Wenn sie einen Anfall von Payton-induziertem Würgereiz oder von Melrose-Melancholie bekam, würde sie sich entweder wie eine Klette an den armen Professor heften oder sofort nach Hause fahren.

Dass ich, wie es dem Thema würdig,
Des Ewgen Fügung preisen,
Rechtfertgen Gottes Wege kann.
    John Milton, Das verlorene Paradies
    Und Malz zum Brauen es viel besser schafft,
Zu rechtfertigen Gottes Wege, als Miltons poetische Kraft.
    A. E. Housman, »Terence, das ist dummes Zeug«
    Professor Cianquinos Apartment befand sich im Erdgeschoss von Melrose, einem aus dem achtzehnten Jahrhundert stammenden Pflanzerhaus, das direkt am Savannah lag. Die Melroses waren Sklavenhalter und Baumwollpflanzer gewesen und hatten zu den Ersten gehört, die während des Bürgerkriegs der Armee der Konföderation beigetreten waren. Nach Appomattox hatte Francis Melrose Haus und Land an einen Bankier aus Chicago verkauft und war mit seiner Frau, seiner Schwester und seinen beiden Töchtern nach Jamaika abgerauscht, wo er ins Zuckerrohrgeschäft eingestiegen und schließlich, als herzloser alter Mann, mit sechsundneunzig Jahren gestorben war.
    Der Bankier aus Chicago, der feststellen musste, dass die Gesellschaft von Savannah einem eingefleischten Yankee mit eisiger Ablehnung begegnete, verkaufte das Haus an eine baptistische Suffragette, die dort eine Bibelschule für Frauen gehobenen Standes eröffnete. Nach Schließung der Schule wechselte Melrose mehrmals den Besitzer. In den Sechzigern restaurierte ein Architekt aus New Jersey das prächtige alte Gebäude mit akribischer Genauigkeit und machte schließlich infolge der Kosten bankrott. Daraufhin erwarb ein pensionierter Richter das Haus auf einer Auktion und teilte es in sechs Luxusapartments auf, die er an Leute wie Professor Cianquino vermietete – Bewohner, die den Ausblick auf den Fluss, die Abgeschiedenheit und die Ruhe zu schätzen wussten.
    Mehrere Einkaufstüten mit Essen neben sich auf dem Beifahrersitz, fuhr Bree die lange Auffahrt zum Herrenhaus hoch und machte halt. Das Gebäude sah genauso aus wie auf den Postkarten für Touristen und strahlte die Aura eines Ortes aus, der eine stürmische Vergangenheit hinter sich hatte und voller Zufriedenheit seinen Lebensabend genoss.
    Natürlich spukte es in dem Haus. Allerdings war Bree nicht gewillt zu glauben, dass das Unbehagen, das sie dort empfand, etwas mit Gespenstern zu tun hatte.
    Auch wenn sie nicht im Geringsten an das Jenseits oder daran glaubte, dass die Toten dort weiterlebten, gefiel es ihr, dass Savannah den Ruf genoss, die gespensterreichste Stadt der Vereinigten Staaten zu sein. Die meisten Gespenster trieben sich in den alten Häusern und auf den Friedhöfen der Altstadt herum, obwohl auch am Rande der Stadt, auf früheren Plantagen wie Melrose, eine beträchtliche Anzahl von ihnen zu finden war. Ihr war entfallen, wie viele Gespenster angeblich auf Melrose ihr Unwesen trieben, aber zwei waren es mindestens. Da war erstens Marie-Claire, die stets äußerst geräuschvoll auftrat. Bei ihr handelte es sich um die verstoßene Geliebte eines Flusspiraten. Sie hatte sich aus Kummer ertränkt, als der Pirat ehrbar geworden war und die Tochter eines Richters geheiratet hatte. Dann war da noch ein wahrhaft unheimlicher Sohn aus der Familie Melrose, der in einem Irrenhaus gestorben war, nachdem er unter den Sklaven ein Blutbad angerichtet hatte. Bree hätte nichts dagegen gehabt, Marie-Claire einmal kennenzulernen, mit der sie sich darüber hätte austauschen können, dass sie, was Männer betraf, beide einen besonders schlechten Geschmack hatten.
    Bree saß im Auto und kämpfte gegen den absolut irrationalen Wunsch an, doch wieder kehrtzumachen und nach Hause zu fahren. Die Auffahrt zum Haus wurde von Eichen gesäumt, von deren Ästen girlandenartig Bartflechten herabhingen. Der Garten, der das Haus umgab, prunkte

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