Im Netz der Angst
gelassen. »Mehr wollen Sie nicht verraten?«
Sie rieb mit den Fingern den Bereich zwischen den Augenbrauen – dort, wo sich eine tiefe Falte eingegraben hatte – und Joshs Puls beschleunigte sich. Gleich hatte er sie so weit! Verdammt, er hatte keine Lust, auf die Tante zu warten! Er wollte jetzt erfahren, was Dr. Gannon über Taylor wusste.
Da klingelte sein Handy in der Tasche. Seufzend zog er es heraus. Wenn man während einer derartig heiklen Verhandlung auch nur kurz gestört wurde, war es vorbei. Er klappte es auf. »Wolf.«
»Wir haben vorläufige Ergebnisse der Fingerabdrücke vom Tatort hier, die Sie interessieren werden«, meldete Clyde am anderen Ende der Leitung. »Außerdem möchte der Pressesprecher Sie und Jacobs sehen, und zwar pronto . Diese Sache wird Topthema in jeder Morgensendung sein. Er muss wissen, was Sie bislang haben.«
»Wir sind in zwanzig Minuten da.« Er legte auf und sah die Psychologin an. »Detective Jacobs und ich müssen los.«
Aimee wickelte die Decken um Taylor und versuchte, es ihr auf dem Krankenbett so gemütlich wie möglich einzurichten. Anscheinend fror das Mädchen nicht mehr ganz so schlimm und schaukelte auch nicht mehr so stark vor und zurück. Stattdessen lag es auf der dünnen Matratze und starrte die Wand an, sein schwarz gefärbtes, langes Haar hob sich als deutlicher Kontrast von dem hellen Kissen ab. Es roch nach Desinfektionsmittel. Nicht gerade der Ort, an dem Aimee ihre traumatisierte Patientin für den Rest der Nacht wissen wollte. Sie würde sie lieber in weiche Wolldecken einschlagen und ihr ein Gefühl von Geborgenheit vermitteln, aber beides war im Moment schlicht unmöglich.
Die Polizei würde niemals erlauben, dass sie Taylor mit nach Hause nahm, selbst wenn sie es wagen würde. Also tätschelte sie weiterhin beruhigend Taylors Rücken, eine der wenigen Stellen ihres Körpers, die nicht von unzähligen Schnittwunden überzogen war. Wie viele körperliche Qualen hatte Taylor erdulden müssen? Und wie viel seelischer Schmerz verbarg sich wohl dahinter? Gab es irgendetwas, das Aimee tun konnte?
Monatelang hatten sie die Ursache für die Abwärtsspirale aus Selbstverstümmelung und Drogenkonsum eingekreist, wegen der die Dawkins ihre Tochter zu Aimee gebracht hatten. In den letzten Therapiestunden war Aimee dann zu der Überzeugung gelangt, dass sie zwar eine heftige emotionale Bruchlandung vor sich hatten, die jedoch den ersten Schritt von Taylors Heilungsprozess markieren könnte.
Aimee konnte sich nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie weit Taylor nun in ihrer Therapie zurückgeworfen worden war. Als ob das jetzt noch irgendeine Rolle spielte.
Tränen der Verzweiflung brannten ihr hinter den Lidern. Ihr Verhältnis zu Orrin und Stacy war rein beruflicher Natur gewesen, besonders Orrin war ihr immer sehr kühl und reserviert erschienen. Doch jetzt waren sie tot, ihre beiden Leben unwiederbringlich und für immer ausgelöscht. Das war nicht richtig! Wie hatte das nur geschehen können? Und wie sollte es jetzt mit Taylor weitergehen?
Erst nachdem Josh sich darum gekümmert hatte, dass Smitty vor Taylors Behandlungsnische postiert wurde und versichert hatte, sich zu melden, sobald das Mädchen anfing zu reden, machte er sich mit Elise auf den Weg aus dem Krankenhaus. Erleichtert stellte er fest, dass ihnen noch keine Fernsehreporter auflauerten und mit Fragen bombardierten oder versuchten, das erste Bild von Taylor zu schießen. Das würde jedoch nicht lange auf sich warten lassen. Vor dem Haus der Dawkins hatte er schon mindestens zwei Teams gesehen. Ein unbescholtenes Ehepaar, das in seinem schicken Haus mitten in Pocket ermordet worden war? Blutspuren an den Wänden? Ein katatonischer Teenager? – Die Presse würde sich wie die Schmeißfliegen darauf stürzen und ebenso lästig werden. Wahrscheinlich hätte er Dr. Gannon vorwarnen sollen. Apropos …
»Was hältst du von der Seelenklempnerin?«, fragte Josh Elise. Sie besaß eine hervorragende Menschenkenntnis; er hatte schon vor langer Zeit gelernt, auf ihr Urteil zu vertrauen.
»Nun jaaa«, säuselte Elise, als sie beim Parkplatz ankamen. »Sieht auf jeden Fall super aus. Die würde ich nicht von der Bettkante stoßen.«
Josh schnaubte verächtlich. »Versuch bloß nicht, so ein typisches Männergespräch mit mir anzufangen. Wo hast du überhaupt solche Sprüche her? Von deinen Kumpels auf dem Bau?«
Sie lachte. »Ich versuche ja nur, dir auf allen Ebenen ein richtiger Partner zu
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