Im Netz der Angst
wahrscheinlich wird es noch viel schlimmer werden.«
Simone tätschelte ihr den Rücken. »Tut mir leid.« Sie hatte gelernt, nicht nach Details über Aimees Patienten zu fragen, dafür hörte sie sich immer verständnisvoll an, was Aimee bereit war, preiszugeben. Eine Freundin wie sie zu haben war Gold wert. »Wird es dann wenigstens bald vorbei sein?«
»Ich schätze, ab morgen bin ich aus der Sache raus. Meine Patientin wird eingewiesen werden müssen – zumindest vorerst. Und wenn jemand erst mal in einer Klinik gelandet ist, wird die bis dahin zuständige Psychologin nicht länger gebraucht.« Der Arzt dort würde vermutlich seine oder ihre eigene Diagnose und einen neuen Behandlungsplan erstellen.
Wer auch immer den Fall übernahm, würde bei null beginnen, ohne all die Kenntnisse, die Aimee in ihrer Zeit mit Taylor gewonnen hatte. Aber vielleicht würde das sogar besser für das Mädchen sein. Schließlich war in den letzten vierundzwanzig Stunden sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt worden.
»Ich kann heute unmöglich laufen gehen. Warum joggst du heute nicht einfach allein und ich begleite dich dann morgen wieder, einverstanden?«
Simone sprang auf und drückte Aimee einmal kurz zum Abschied. »Klar. Lass mich wissen, falls du irgendwas brauchst. Ich melde mich am Abend noch mal, um zu sehen, wie es dir geht.«
Aimee verriegelte die Tür hinter ihrer Freundin und legte die Kette vor. Großartig – Simone würde sich melden, um nachzufragen, ob es ihr gut ging. Aimee wurde nicht gern wie ein zerbrechliches Wesen behandelt, denn das war sie gar nicht mehr. Außerdem konnte sie es nicht ausstehen, wenn sie sich wie einer der vielen Punkte auf der Liste der zu erledigenden Aufgaben vorkam: Hühnchen fürs Abendessen auftauen. Bei Aimee anrufen. Sachen aus der Reinigung holen.
Sie schenkte sich Kaffee nach. Sie konnte genauso gut noch einmal in Taylors Akte schauen, ehe sie ihre Patientin einem neuen Arzt übergab. Vielleicht fand sich ja ein Detail, das für die Ermittlungen wichtig war. Irgendetwas, dessen Bedeutsamkeit sie zuvor übersehen hatte.
Josh und Elise hatten dem Polizeipressesprecher ausreichend Informationen an die Hand gegeben, dass sich daraus ein zwei Absätze langer Artikel für den Regionalteil der Sacramento Bee stricken ließ. Auch für die Nachrichtenredaktionen des Frühstücksfernsehens hatten sie einige Fakten zur Verfügung gestellt, die zusammen mit dem Filmmaterial vom Haus der Taylors verwendet werden konnten. Die Presse würde bald mehr fordern, aber Elder ging davon aus, dass er sie damit noch eine Weile hinhalten könne. Glücklicherweise, denn viel mehr hatten sie im Moment gar nicht vorzuweisen.
Der Chief wiederum hatte deutlich gemacht, dass er eher heute als morgen neue Ergebnisse sehen wollte. Josh hatte mit Druck von oben gerechnet, aber nicht damit, dass er so schnell kommen würde.
Nach dem Treffen mit dem Chief waren Josh und Elise beide kurz nach Hause gefahren. Josh hatte geduscht, sich umgezogen und Dean, seinem Gecko, ein paar Grillen ins Terrarium geworfen. Die Echse war so ziemlich das einzige Haustier, das seine oftmals unerwartete und längere Abwesenheit aushielt. Wenn Dean ihn auch nicht freudestrahlend an der Haustür empfing, zischte er doch zumindest dankbar, ehe er mit einem lauten Schlurps die Grille verschlang. Wenn das nicht Liebe war, was dann? An den meisten Abenden war der Gecko der Einzige, der Josh Gesellschaft leistete. Mochte Dean auch ein wenig griesgrämig sein, quatschte er ihm doch zumindest nie während eines Spiels dazwischen oder trank ihm das letzte Bier weg.
Wieder zurück im Hauptquartier an der Freeport wartete bereits die Nachricht des Gerichtsmediziners auf Josh und Elise, dass vorläufige Obduktionsergebnisse der Dawkin-Leichen vorlagen. Der Kerl musste verflucht schnell gearbeitet haben. Offenbar hatte man auch ihm die Daumenschrauben angelegt.
Also stiegen sie wieder in ihren weißen Dienstwagen – einen Sedan – und fuhren die Freeport hoch zum Leichenschauhaus, vorbei an den vielen Einkaufszentren der Hauptgeschäftsstraße mit ihren Wechselstuben, den Nagelstudios und dem obligatorischen Fast-Food-Restaurant.
»Wir sind schneller da, wenn du die Abkürzung über die Sutterville auf die King nimmst«, sagte Elise.
»Rede ich dir ungefragt rein, wenn du fährst?« Josh warf ihr einen ungehaltenen Blick zu.
»Nein, aber du seufzt ziemlich häufig, und das laut.«
»Na schön. Dann nehme ich eben die King.« Er
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