Im Netz der Angst
»Ich habe lange genug den Mund gehalten, Dad! Immer wieder habe ich versucht, das alles geheim zu halten, aber es ist einfach unmöglich! Es wird alles ans Licht kommen und das kannst du ebenso gut akzeptieren. Ich kann dich nicht davor schützen. Niemand kann das.«
»Akzeptieren? Bist du des Wahnsinns? Hast du auch nur die leiseste Vorstellung davon, was ich alles tun musste, um dein kleines Geheimnis mit Taylor zu wahren? Wie viel Mühe es mich gekostet hat? Und jetzt platzt du einfach so vor dem Fräulein Psychologin damit heraus?« Carl zerrte heftig an Aimees Arm.
Sie schrie auf. Thomas stand noch immer auf der Schwelle zum Wohnzimmer. Tränen schimmerten in seinen Augen. Aimee formte wortlos »Lauf!« mit den Lippen, doch stattdessen tippelte der Kleine einen Schritt auf sie zu.
»Ich weiß genau, was du getan hast, Dad! Du hast sie umgebracht, habe ich recht? Du hast Orrin und Stacey getötet!« Sean vergrub das Gesicht in den Händen.
Carl lockerte seinen Griff um ihren Arm. »Du hast es gewusst?«, flüsterte er. »Du hast es die ganze Zeit gewusst?«
»Dazu musste man kein Genie sein, Dad.«
»Und weißt du auch, weshalb?«, zischte Carl.
»Ich schätze, es ging um Orrins Unterschlagungen.« Sean schloss die Augen. »Ich hätte dir nie davon erzählen dürfen. Ich hätte zu Orrin gehen sollen, damit er das selbst wieder geradebiegt. Ich hatte ja keine Ahnung, dass du so etwas tun würdest! Dass du Orrin das antun würdest!«
»Mir blieb doch keine Wahl«, schrie Carl und riss Aimees Arm erneut nach oben, bis ihr Tränen in die Augen schossen. »Du hast mir keine Wahl gelassen!«
»Wie soll ich das verstehen, Dad? Du hättest ihn doch nicht ermorden müssen! Warum hast du nicht einfach die Polizei eingeschaltet?«
»Weil er wusste, dass du seine Tochter vergewaltigt hast!«
Sean taumelte zurück, als hätte ihm jemand einen Stoß mitten ins Herz versetzt. »Er wusste davon?«, flüsterte er entsetzt.
»Er hat es sich selbst zusammengereimt. Dank dieser Schlampe hier!« Wutentbrannt stieß Carl Aimee zu Boden. Es knirschte deutlich hörbar und als ihr ein stechender Schmerz durch den Arm fuhr, schrie sie laut auf.
Thomas flitzte an ihr vorbei einmal quer durchs Zimmer und warf sich dort seiner Mutter in die Arme. Sarah kauerte sich auf den Boden und presste ihren Sohn fest an sich; dabei hielt sie sein Gesicht nah an ihre Brust gedrückt, wie um ihn davor zu schützen, noch mehr zu hören und zu sehen.
Carls zorniger Blick traf Aimee. »Orrin hat gesagt, die Psychotante hier hätte Fragen gestellt: Wann sich Taylors Persönlichkeit denn genau verändert hätte? Ob sie vor irgendetwas oder irgendjemandem Angst habe? Was vorgefallen sein könnte, das einen neuen Wesenswandel ausgelöst hat? Dank all dieser Fragen von ihr, fiel es ihm nicht besonders schwer, sich den Rest selbst zusammenzureimen.
Orrin drohte mir damit, der Polizei von der Vergewaltigung zu erzählen, wenn ich ihn wegen der unterschlagenen Kohle anzeigen würde. Das konnte ich nicht zulassen! Du warst doch noch ein Kind! Das dumme Ding hat’s wahrscheinlich sogar drauf angelegt, so wie sie dir die ganze Zeit nachgelaufen ist. Wie ein Hündchen! – Was hat sie da erwartet? Außerdem konnte ich doch nicht einfach zusehen, wie Orrin die Firma weiterhin so ausnimmt! Also habe ich getan, was getan werden musste. So wie immer. Ich erledige, was zu tun ist – und zwar ohne einen Blick zurück.«
Aimees Verstand arbeitete auf Hochtouren. Sie hatte richtig gelegen und sich doch schrecklich getäuscht! Die Wurzeln der ganzen Sache reichten wirklich tief in Taylors Vergangenheit zurück. Sie blickte zu Sarah hinüber, in deren Gesicht sich das blanke Entsetzen spiegelte.
Sean starrte Carl an. »Dad! Er war dein Geschäftspartner und seit über zehn Jahren dein Freund! Und das ist alles, was du dazu zu sagen hast? Du hast erledigt, was zu tun war? «
»Was hast du erwartet? Tränen? Ach komm, was macht das schon für einen Unterschied? Es ist erledigt! Ich wünschte, es wäre nicht so weit gekommen. Orrin und ich haben uns … wirklich gut ergänzt. Es wird echt schwierig werden, einen Ersatz für ihn zu finden.«
»Ist das alles? Du bedauerst, dass du dir einen neuen Geschäftspartner suchen musst?« Sean schüttelte entsetzt den Kopf. »Ich denke, mein Therapeut hat recht, Dad. Du bist ein beschissener Psychopath!«
Carl lief dunkelrot an vor Zorn. »Mit Beleidigungen solltest du dich lieber zurückhalten, Sohnemann. Denn du bist
Weitere Kostenlose Bücher