Hasenherz
Jungen, die Basketball spielen um einen Telegrafenmast herum, an den sie ein Brett genagelt haben. Beine, Schreie. Das Schurren und Rutschen der Turnschuhe auf den losen Kieseln katapultiert die Stimmen hoch in die feuchte Märzluft hinauf, die sich blau über den Drähten wölbt. Rabbit Angstrom, der gerade die kleine Straße heraufkommt, in strengem Anzug, bleibt stehen und sieht zu, obwohl er sechsundzwanzig ist und eins siebenundachtzig groß. Bei einer solchen Größe scheint der Spitzname nicht eben gerechtfertigt zu sein, aber das brei te, hellhäutige Gesicht, die blassen blauen Augen und das nervöse Zucken unter der kurzen Nase, wenn er sich eine Zigarette in den Mund steckt: dies alles ist dann doch eine hinlängliche Erklärung für den Namen, den er bekommen hat, als er selber ein Junge war. Er steht da und denkt: die Bengel kommen immer näher, sie umzingeln dich noch.
Und daß er so dasteht, bringt die Jungen in Verlegenheit. Sie schielen aus den Augenwinkeln zu ihm hin. Sie spielen hier zu ihrem eigenen Vergnügen und nicht als Schauspiel für so einen Erwachsenen, der in kakaobraunem Doppelreiher in der Gegend rumlungert. Es kommt ihnen überhaupt komisch vor, ein Erwachsener, der zu Fuß die Straße raufkommt. Wo ist sein Auto? Die Zigarette macht das ganze noch mulmiger. Ist er einer von denen, die ihnen Zigaretten anbieten wollen oder Geld, damit sie mit ihm hinter die Eisfabrik gehen? Sie haben gehört, daß es so was gibt, aber sie haben keine große Angst davor. Sie sind zu sechst, und er ist allein.
Der Ball prallt vom Korbrand ab, senkrecht in die Höhe, schießt im Bogen über die Köpfe der sechs hinweg und landet zu Füßen des einen einzelnen. Der fängt ihn knapp nach dem Aufsprung ab, mit einer Schnelligkeit, die die Jungen beunruhigt. Sie werden stumm und star ren, und er zielt mit zusammengekniffenen Augen durch blauen Tabakrauch, eine jählings dunkle Silhouette, wie ein Schornstein im nachmit tägigen Frühlingshimmel, setzt seine Füße mit Bedacht zurecht, wiegt den Ball gespannt vor seiner Brust hin und her, mit der einen weitge spreizten Hand ihn von oben haltend, mit der ändern von unten ihn stützend, und läßt ihn sich gleichsam mit den Luftströmungen vertraut machen. Die Monde seiner Fingernägel sind groß. Dann sieht es plötz lich so aus, als gleite der Ball am rechten Jackettaufschlag des Mannes hinauf und stiebe von dessen Schulter auf, indes der Mann in die Knie geht, und man denkt, der Ball geht fehl, denn obwohl der Mann ihn im richtigen Winkel wirft, fliegt der Ball nicht in Richtung aufs Brett. Er war nicht dorthin gezielt. Er fällt mitten in den Korb, streift das Netz mit damenhaftem Flüsterton. «He!» ruft der Mann stolz.
«Glück!» sagte einer von den Jungen.
«Gewußt, wie!» gibt er zurück, und er fragt: «He, einverstanden, daß ich mitspiele?»
Keine Antwort kommt, nur verdutzte, blöde Blicke gehen hin und her. Rabbit zieht sein Jackett aus, faltet es akkurat zusammen und legt es auf einen sauberen Mülleimerdeckel. Die Trainingsanzüge hinter ihm rühren sich schon wieder. Er geht mitten hinein ins Getümmel, erjagt sich den Ball aus zwei schwächlichen weißen Händen und hält ihn wieder in den seinen. Das vertraute Gefühl von gespanntem Leder strafft seinen ganzen Körper, gibt seinen Armen Flügel. Es ist viele Jahre her, daß er diese Gestrafftheit gespürt hat. Seine Arme heben sich von allein, und der Ball fliegt von seinem Kopf auf, direkt auf den Korb zu. Er hat ein so sicheres Gefühl, daß er mit den Wimpern zuckt, als der Ball ein wenig zu früh niedergeht, und eine Sekunde lang denkt er, daß er vielleicht durch den Reifen gefallen ist, ohne das Netz zu berühren. «He, bei welcher Partei bin ich?» fragt er.
Unter Geschlurre, wortlos werden ihm zwei Jungen zugeteilt. Zu dritt stehen sie jetzt gegen die übrigen vier. Rabbit gibt ihnen zwar gleich am Anfang einen Vorsprung, indem er sich drei Meter vom Korb entfernt postiert, aber trotzdem ist es noch unfair. Niemand macht sich die Mühe, Punkte zu zählen. Das schroffe Schweigen ärgert ihn. Unter einander rufen sich die Jungen zwar ab und an ein Wort zu, ihm gegenüber aber riskieren sie keine Silbe. Das Spiel geht weiter, und er fühlt, daß sie ihm nicht von den Fersen weichen und immer hitziger und wilder werden beim Versuch, ihm ein Bein zu stellen, aber ihre Zungen rühren sich noch immer nicht. Er will diesen Respekt nicht, er möchte ihnen
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