Im Profil des Todes
allein
zurechtkam. Sie verzog das Gesicht. »Ich weiß nicht, warum du dich noch immer mit mir abgibst. Ich bin eine miserable Freundin, ich denke an nichts anderes als an meine Arbeit. Ich bin so verflucht egoistisch, dass ich nicht einmal
mitbekommen habe, dass es Probleme zwischen dir
und Diane gab. Warum hast du mich nicht längst zum Teufel geschickt? «
»Das frage ich mich auch manchmal.« Er neigte den Kopf, als müsste er nachdenken. »Wahrscheinlich ha-be ich mich an dich gewöhnt. Es ist so aufreibend, neue Freunde zu suchen, also muss ich mich wohl mit dir abfinden. «
» Gott sei Dank. « Sie schlang die Arme um die Knie.
»Ich habe ihm wehgetan, Joe.«
»Logan ist hart im Nehmen. Er wird drüber weg-
kommen. Er wusste, dass er auf dein Bleiben nicht schwören konnte, als er dich hierher gelockt hat. «
»Er hat mich nicht hierher gelockt. Er wollte mir helfen.«
Joe zuckte die Achseln. » Vielleicht. « Er stand auf und half ihr auf die Füße. »Komm, lass uns zum Haus zu-rückgehen. Du bist schon reichlich lange hier draußen«
»Woher weißt du das? «
»Ich habe dich hinausrennen sehen. Ich habe auf der Veranda gewartet.«
»Die ganze Zeit?«
Er lächelte. »Ich hatte gerade keine dringenden Ver-abredungen. Ich dachte mir, dass du Zeit für dich allein brauchst, aber jetzt solltest du schlafen gehen. «
Er hatte dort in der Dunkelheit gestanden, schweigend und stark, und geduldig abgewartet, bis er ihr helfen konnte. Auf einmal fühlte sie sich stärker, optimistischer als zuvor. »Ich gehe nicht ins Haus, aber du kannst mich zum Labor begleiten. Ich muss noch etwas erledigen und anschließend packen.«
»Brauchst du Hilfe?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich komme schon klar.« Sie steuerte das kleine Haus an, das etwa hundert Meter entfernt lag. »Ich habe es die ganze Zeit vor mir her-geschoben. «
»Willst du es dir noch mal überlegen? «
»Das solltest du eigentlich besser wissen.« Sie öffnete die Tür des Labors und schaltete das Licht an. »Aber ich bin traurig.« Sie trat an den Computer auf ihrem Schreibtisch. »Geh jetzt. Ich muss diese Alterssimulation noch fertig stellen. Libbys Mutter wartet schon so lange darauf. Sie hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben. «
»Hübsches Labor.« Joe ließ seinen Blick durch den Raum wandern, von der beigefarbenen Couch mit den vielen orange- und goldfarbenen Kissen zu den ge-rahmten Fotos auf dem Bücherschrank. »Du hast es
nach deinen Vorstellungen eingerichtet. Wo ist die Skulptur, an der du arbeitest? «
Sie deutete mit dem Kopf auf den Sockel neben dem riesigen Panoramafenster. »Deine Büste macht Fortschritte. Aber eine von Mom ist schon fertig. Sie steht im Schrank neben der Tür.«
»Meine Büste?« Er starrte sie an. »Großer Gott, das bin ja ich.«
»Kein Grund, sich geschmeichelt zu fühlen. Ich hatte keine Modelle und dein Gesicht kenne ich fast so gut wie mein eigenes. «
»Das sehe ich.« Er berührte den Nasenrücken. »Ich habe immer geglaubt, niemand würde diesen kleinen Hubbel bemerken. Ich habe mir die Nase beim Football gebrochen. «
»Hättest sie seinerzeit besser versorgen lassen
sollen.«
Er grinste. »Aber dann wäre ich einfach zu perfekt.« Er zögerte einen Moment. »Ich hätte eher damit gerechnet, dass du eine Büste von Bonnie machst. «
»Ich hab's versucht. Es geht nicht. Ich habe die ganz Zeit bloß auf den Ton gestarrt.« Sie rückte ihre Brille zurecht und ließ das Foto von Libby auf dem Bildschirm erscheinen. »Vielleicht später. «
»Aber du meinst, den Schädel des kleinen Mädchens kannst du rekonstruieren?«
Ihr fiel auf, dass er es vermied, von Bonnies Schädel zu sprechen. »Ich muss es tun. Ich kann alles tun, wenn es sein muss. So, und jetzt lass mich allein, Joe, ich habe zu arbeiten.«
Er schlenderte zur Tür. »Versuch, ein bisschen zu schlafen.«
»Erst will ich die Alterssimulation noch machen. « Sie nahm sich die Fotos von Libbys Mutter und Großmutter vor, um sie eingehend zu betrachten. Nicht an Bonnie oder an Logan denken! Libby benötigte ihre ganze
Aufmerksamkeit. Sie musste aus einem Mädchen von
acht Jahren eine Fünfzehnjährige machen. Keine
leichte Aufgabe. Sie durfte an nichts anderes denken.
Schon gar nicht an Bonnie.
»Zu schade, dass du keine Zeit hast, Joe fertig zu stellen«, sagte Bonnie.
Eve drehte sich auf der Couch um und sah Bonnie dastehen und auf Joes Büste starren. Sie sah aus wie immer, wenn sie Eve besuchte: Jeans, T-Shirt,
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