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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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guckte, für den Fall, dass man seine Hilfe beim Transport der Leiche brauchte.
    Ein Krankenwagen kam, und zwei Sanitäter legten die Leiche auf eine Trage und schafften sie mit Hilfe des einen Polizisten die Treppe hinunter. Sie dirigierten einander, das Gesicht von der Anstrengung verzerrt. Einer der Sanitäter stieß sich im zweiten Stock die Fingerknöchel am Treppengeländer. Er blieb stehen, stützte die Trage auf der Hüfte ab und schüttelte die Hand vor Schmerz. An den Fingerknöcheln der linken Hand war die Haut abgeschürft, und sein weißes Hemd war voller Blut. Frank brachte ihm eine Rolle Küchenkrepp, und der Sanitäter umwickelte sich die Hand, und dann fiel ihm die Rolle herunter, sie purzelte die Treppe hinab und rollte bis zur Haustür.
    Frank und der Inuit hatten eines Morgens nach einem Schneesturm zusammen den Gehweg freigeschaufelt, die Sonne war herausgekommen und die Straße war von einem schmerzhaft grellen Weiß, und die vom Schneepflug aufgetürmten Berge reichten ihnen bis über den Kopf. In der ganzen Straße waren Autos unterm Schnee begraben.
    Kinder kamen in ihren Schneeanzügen heraus, ihre Stimmen und das Klirren der Schaufeln trugen weit in der klaren Luft. Die Leute schippten, und jeder Schaufelschwung zog einen feinen Schneeschleier hinter sich her, der glitzernd in der Luft hing. Wo der Asphalt hervorlugte, war er glänzend schwarz wie Lackleder. Der Verkehr war praktisch zum Erliegen gekommen.
    Frank und der Inuit nickten einander zu und dann schaufelten sie über eine Stunde lang. Sie machten sich nicht miteinander bekannt. Der Moment dafür kam, war da und verstrich, ohne dass einer von beiden etwas gesagt hätte.
    Der Inuit trug eine Sonnebrille und einen gelben Anorak, er hatte blauschwarzes Haar, und er schaufelte ohne jede Mühe, machte regelmäßig kurze Pausen, in denen er sich auf seine Schaufel stützte, und kam trotzdem schneller voran als Frank.
    Die junge Krankenschwester von gegenüber, seit kurzem alleinerziehende Mutter, versuchte, rückwärts über den vom Schneepflug aufgetürmten Schnee aus ihrer Ausfahrt herauszufahren, sie trat aufs Gas, sodass der Motor schrill aufheulte. Sie gingen hinüber, um sie anzuschieben, und Frank sagte ihr, in welche Richtung sie das Lenkrad drehen sollte, im Rückspiegel sah er ihre Augen, sie waren braun, und er hätte alles gegeben, um sie zu küssen und mit ihr ins Bett zu gehen. Er hatte sie schon seit ihrem Einzug im Auge, und sie winkte ihm immer zu und rief Hi, und manchmal war das den ganzen Tag lang das einzige, was jemand zu ihm sagte.
    Er und der Inuit lehnten sich mit aller Kraft gegen den Wagen, der Inuit hatte sich die Sonnenbrille ins Haar geschoben und grinste Frank an, er wusste Bescheid, er hatte gesehen, wie Frank das Mädchen im Rückspiegel angeschaut hatte, und sie lachten und schaukelten die verdammte Karre, bis die Räder griffen und sie bis zur Taille mit Schneematsch bespritzten, das Mädchen fuhr ein paar Meter und hielt dann am Straßenrand, und dann kam sie zu ihnen zurückgelaufen und rieb mit dem Ende ihres Schals an ihnen beiden herum, sie war fast auf den Knien, wischte den Matsch ab und sagte immer wieder, tut mir leid, tut mir leid, und Frank und der Inuit grinsten einander an.
    Frank trat aus der Dusche, in das einzige Handtuch gewickelt, das er besaß. Er nahm ein Hemd vom Stapel, hielt es an den Schultern und schüttelte es ein wenig, sodass das Seidenpapier zu Boden schwebte. Er hatte sich den Rücken abgetrocknet, war jedoch schon wieder feucht vom Schweiß, weil es so heiß war. Er zog das Hemd an und rollte die Schultern, damit es richtig saß, nahm Wechselgeld für den Abend aus dem Umschlag, den er unter seinem Nachttisch aufbewahrte, steckte es in die Hemdtasche und knöpfte sie zu. Dann machte er das Licht aus und schmetterte die Tür ins Schloss.
    Als er die Treppe herunterkam, stieg eine Schar Tauben vom Gehweg auf. Sie gurrten und ließen sich wieder nieder, um nach den Brotkrumen zu picken, die ihnen jemand hingeworfen hatte. In Franks leerem Apartment rannen Wassertropfen in zögerlichen Schlangenlinien am Plastikduschvorhang hinunter, und in dem Einmachglas am Fenster stiegen einige der Lufbläschen an den Blumenstengeln zur Oberfläche auf, wo sie lautlos zerplatzten. Der Wind stubste die Blumen gegeneinander, und die Stengel tänzelten über den Boden des Glases.

Colleen
    Die Tür des Fahrstuhls geht schwungvoll auf, und Colleen sieht einen Richter durch einen langen Flur

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