Im Rachen des Alligators
sie sich wie eine Wendeltreppe in die Höhe wanden. Riesige Weihnachtskugeln hingen von den Deckenbalken, aus den Lautsprechern plätscherten weihnachtliche Melodien, Menschen in bunten Jacken kamen hereingewirbelt und verschwanden wieder wie die bunten Glasstückchen in einem Kaleidoskop.
Colleens enger roter Wollmantel mit den schwarzen Samtbesätzen und dazu passenden Knöpfen roch drinnen im Kaufhaus nach der Kälte. Der Mantel stammte aus einer teuren Boutique für Kinderkleidung in der Duckworth Street, der ersten ihrer Art in St. John’s, die nach nur einer Saison wieder zugemacht hatte. Beverly hatte den Mantel vier Monate lang im Auge behalten, hatte verfolgt, wie der Preis immer weiter gesenkt wurde, und ihn dann im Frühjahr beim Räumungsverkauf für den folgenden Winter erstanden. Bis dahin waren Colleen die Ärmel natürlich zu kurz, aber sie musste ihn trotzdem tragen.
Beverly hatte Colleen in einen Einkaufswagen gehoben, wo sie sich nun festklammerte, während ihre Mutter ohne Rücksicht auf Verluste mit ihr durchs Gedränge stürmte, bis sie schließlich einen elektrischen Rollstuhl rammte und der Einkaufswagen sich an einem herausragenden Teil verfing.
Die Frau im Rollstuhl war fettleibig. Ihr Körper bestand aus drei klar definierten Fettwülsten, die übereinander lagen und Colleen an das Softeis erinnerten, das bei Moo Moos aus der Maschine kam. Die glänzendroten Gummistiefel der Frau reichten nicht ganz bis auf die Fußstütze hinunter, und sie trug einen Pullover, auf den ein Weihnachtsbaum mit blinkenden grünen Lichtern appliziert war.
Colleen ging in die erste Klasse, und man hatte sie gelehrt, Erwachsenen in die Augen zu sehen, ihnen zur Begrüßung die Hand zu geben und nicht zu nuscheln. Aber die Frau im Rollstuhl machte ihr Angst. Vom Einkaufswagen aus, der jetzt nur noch auf zwei Rädern stand und heftig gerüttelt wurde, schaute Colleen auf den Kopf der Frau hinunter. Fettiges weißes Haar lag flach auf ihrem Schädel. Man sah noch die Furchen, die der Kamm gezogen hatte, und die rosa Kopfhaut schimmerte durch.
An alldem war nur ihre Mutter schuld – ihre Mutter mit diesem Draufgängertum in jeder Lebenslage, das sich meistens auszahlte, manchmal aber völlig in die Hose ging.
Beverly
Beverly wartete im Food-Court im Erdgeschoss des Atlantic Place, nachdem sie zugesehen hatte, wie Colleen den Fahrstuhl neben der Bank betrat. Bevor sich die Tür schloss, hatte Beverly noch gerufen: Es ist keine Schande, im Unrecht zu sein.
Sie redeten nicht viel dieser Tage. Beverly betrachtete den Vandalismus als persönlichen Affront. Colleen hatte den neufundländischen Fichtenmarder schützen wollen, eine gefährdete Spezies.
Da wird eine ganze Spezies ausgelöscht, hatte sie ihre Mutter angeschrien.
Fichtenmarder, hatte Beverly gesagt. Sie begriff nicht, was Colleen mit ihrem Versuch, diese Tiere zu retten, zum Ausdruck bringen wollte.
Das sind Nagetiere, sagte sie.
Die sind am Aussterben, Mutter, endgültig, sagte Colleen. Irgendwie hatte Beverly eine Tochter großgezogen, deren Stimme manchmal schrillte wie eine Feuersirene. War das genetisch? Kam es aus einer früheren Generation? Beverly hatte nie auch nur ein Bild von einem Fichtenmarder gesehen. Es gab eine ganze Untergruppe von Tieren – Eichhörnchen, Dachse, Biber, Ratten, meist mit grauem oder braunem Fell und, wenn überhaupt, nur aus dem Augenwinkel wahrgenommen –, die Beverly nicht interessierten. Warum nicht gleich Albino-Tiger?
Ich bin mir sicher, dass wir auch ohne sie zurechtkommen, hatte sie geantwortet. Sie fragte sich, was David gedacht hätte.
Beverly hatte David, Colleens Stiefvater, bei einem Geburtsvorbereitungskurs kennengelernt. David nahm zusammen mit einer Barkeeperin aus der Innenstadt teil, deren Mann sie während der Schwangerschaft verlassen hatte. Die Barkeeperin hatte ihn gebeten, den Kurs mit ihr zu besuchen – ihr Geburtsbegleiter zu sein –, weil sie sich alleine nicht traute.
Sie hatte David in der Bar, in der er seit seinem neuzehnten Lebensjahr Stammgast war, während der Happy Hour einen Dry Martini serviert. Dann hatte sie sich die Hand auf den Mund gelegt, wie um sich vom Sprechen abzuhalten. Sie kannten sich seit der Highschool.
Was ist denn los?, hatte er gefragt. Sie hatte ihm von der Schwangerschaft erzählt und dabei den Ehering von ihrem Finger gewunden. Dann kam sie hinter dem Tresen hervor und ging zur Toilette, er hörte die Spülung, und sie kam ohne den Ehering wieder.
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