Im Rausch der Ballnacht
wunderschöne junge Frau, und in der Gesellschaft pries man sie als makellos, denn das war es, was die Leute sahen. Niemand kannte die Wahrheit, außer ihm und nun auch Miss Fitzgerald. Die Narben, die Blanche trug, waren unsichtbar, aber sie machten aus ihr die Gefangene einer beängstigenden Gefühllosigkeit.
Harrington sah zu, wie die Schwestern in die Kutsche stiegen. Er seufzte, denn beim Anblick von Miss Fitzgeralds Tränen konnte er ein Gefühl des Bedauerns nicht unterdrücken. Er hoffte, dass Tyrell sie großzügig versorgte, denn sie hatte ja gesagt, dass ihre Familie verarmt war. Im Geiste notierte er, sich nach der Situation ihrer Familie zu erkundigen. Sollte Tyrell sie nicht entschädigen, würde er es vielleicht tun.
Gerade als er vom Fenster zurücktreten wollte, bemerkte er draußen eine Bewegung. Als er sich umwandte, sah er, wie Miss Fitzgerald dem Butler einen Brief reichte. Sie hatte Tyrell geschrieben. Sofort wusste Harrington, dass dieser Brief nicht überbracht werden durfte. Mit Menschen kannte er sich aus, und er wusste, dass dieser Brief voller Gefühle geschrieben war. Er würde Tyrell ermutigen, ihr nachzureisen. Und das durfte nicht geschehen, so bedauernswert Miss Fitzgeralds Kummer auch war.
Harrington verließ das Musikzimmer. Die Vordertür stand offen, und er sah, dass die Kutsche abfuhr. Mit einem Brief in der Hand kehrte der Butler ins Haus zurück und schloss sorgfältig die Tür hinter sich.
“Smythe.” Harrington trat vor und streckte seine Hand aus. “Ich werde mich darum kümmern.”
“Mylord, dieser Brief ist für Seine Lordschaft bestimmt.”
“Ich werde dafür sorgen, dass er ihn bekommt”, erwiderte Harrington kühl und bedachte den Butler mit einem Blick, der jeden Widerstand zwecklos erscheinen ließ.
Errötend beeilte der Butler sich, ihm den Umschlag zu reichen. Harrington sah, dass er versiegelt war. “Das ist alles.”
Smythe verneigte sich und zog sich zurück.
Harrington ging in die Bibliothek und fand dort im Sekretär einen Brieföffner.
Mein lieber Tyrell,
ich weiß jetzt, dass es so nicht weitergehen kann. Es tut mir einfach zu weh. Vor langer Zeit habe ich mich in dich verliebt. Seit ich ein kleines Mädchen war, habe ich dich aus der Ferne geliebt, und das wird so bleiben, bis ich als alte Frau sterbe. Mein Kummer ist grenzenlos, denn schon jetzt vermisse ich dich unendlich, aber ich will deiner Heirat nicht im Weg stehen. Ich wünsche dir eine Zukunft voller Freude und Glück, und ich bin davon überzeugt, dass dir mit Blanche eine solche Zukunft offen steht.
Ned ist dein Sohn, nicht der meine. In der Nacht von Allerheiligen wurde er von der Frau empfangen, die mein Kostüm trug. Ich bete darum, dass du mir diese Lüge verzeihst, aber ich liebte Ned vom Tag seiner Geburt an, als wäre er wirklich mein leibliches Kind. Bitte hab ihn lieb. Liebe ihn von ganzem Herzen, liebe ihn für mich.
Auf ewig die deine
Elizabeth.
Harrington fühlte sich plötzlich schuldig. Miss Fitzgeralds Liebe war so groß. Die Art, wie sie ihre eigenen Interessen opferte und ihren Geliebten sogar noch zu einem Leben mit Blanche ermutigte, wies sie als wahrhaft edle Dame aus. Aber er konnte es sich nicht leisten, zu viel Mitgefühl mit ihr zu haben.
Beinah tat es ihm leid, was er jetzt tun musste. Mit dem Brief und dem Umschlag ging er quer durch das Zimmer. Im Kamin flackerte noch ein kleines Feuer. Er warf beides hinein und sah zu, wie die Flammen das Papier vernichteten. Dabei hoffte er im Stillen, dass Miss Fitzgerald ihm eines Tages verzeihen möge.
Erwartungsvoll eilte Tyrell durchs Haus. Er hatte gehört, dass Harrington fortgefahren war, um einen Nachbarn zu besuchen, aber selbst wenn er anwesend wäre, so hätte das Tyrell nichts ausgemacht. Den ganzen Tag über war er beunruhigt gewesen wegen Lizzies Benehmen an jenem Morgen, und eine böse Vorahnung hatte ihn überkommen.
Während er die Treppen zum zweiten Stock hinaufstieg, versuchte er, sich einzureden, dass diese Vorahnung nur eine Reaktion auf seine bevorstehende Hochzeit war. Er hatte das unbehagliche Gefühl, in einer Falle zu sitzen, und inzwischen konnte er nicht mehr leugnen, dass er sich über seine Gefühle für Blanche im Unklaren war. Aber mit Gottes Hilfe würde dieses Bedürfnis, sich seiner Pflicht zu entziehen, vorübergehen. Bestimmt würde er bald wieder derselbe sein, der er immer gewesen war. Und doch ließ es sich nicht leugnen, dass die letzten beiden Monate die schönsten in
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