Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin
toter Promi
Es gibt immer wieder Ereignisse, in deren Verlauf Aufbahrungshallen, Pathologien und Gerichtsmedizinische Institute regelrecht belagert werden. Immer dann, wenn ein Prominenter gestorben ist, finden sich Neugierige in Scharen ein, um noch einen Blick auf den Leichnam werfen zu können. Dazu kommen die professionellen Fotoreporter, die mit allen Tricks noch ein Porträt des Toten bekommen wollen.
Ich selbst hatte mehrfach große Mühe die Leute abzuwehren, denn sie versuchten es mit allen Mitteln. Man marschierte etwa in Begleitung eines Leichenbestatters auf, man gab sich als Kriminalbeamter aus, der noch an der Kleidung etwas zu suchen habe, oder man kannte jemanden, der im Kankenhaus arbeitete und zu einem günstigen Zeitpunkt die Türe öffnete. »Wie hat er/sie denn ausgesehen?«, lautet dann immer die neidvolle Frage der anderen. Das Interesse ist stets groß, egal woher die Prominenz der Toten stammt. Der wildeste Andrang, an den ich mich erinnern kann, herrschte beim Amokschützen Ernst Dostal, der nach tagelanger Verfolgungsjagd von der Gendarmerie in einem Feuergefecht erschossen worden war. Zeitungen und Rundfunk hatten laufend berichtet, das Fernsehen war damals vor fast 30 Jahren noch nicht so fix zur Stelle. Dieser tote Mehrfachmörder hatte im Keller unserer Pathologie den größten Publikumserfolg, aber die meisten Neugierigen konnten wir abhalten.
Als Kontrast dazu fällt mir die Schauspielerin Silvia M. ein, die durch einen Verkehrsunfall ums Leben kam. Hier war ohne
Zweifel der Beweggrund, wenigstens einen Blick auf den nackten Leichnam werfen zu können.
Handelt es sich um internationale Stars, kommt auch noch sehr viel Geld ins Spiel. Als Elvis Presley kurz nach Mitternacht am 16. August 1977 nach Hause kam, knipste ihn vor dem Tor seiner Villa »Graceland« in Memphis einer der unermüdlichen Fans, die dort seit Stunden ausharrten. Der Fotograf konnte es dem Klatschblatt »The National Enquirer« für 10 000 US-Dollar verkaufen, denn es war das letzte Bild des lebenden »King«. Ein Bild des Toten zu beschaffen, kam indes teurer. Gegen Morgen an jenem 16. August erlitt Elvis im Badezimmer einen Kollaps. Er war mit Schlaftabletten und Aufputschmitteln voll gepumpt gewesen, eine »Apotheke auf zwei Beinen«, wie es hieß. Seine Braut Ginger Alden schlief ungestört bis in den Mittag hinein im Nebenraum. Erst um 14.30 Uhr entdeckte sie den Leblosen, alarmierte Leibwächter, Rettung und seinen Arzt, der um 16.30 Uhr erklärte: »He’s gone.«
Die Leute vom Klatschjournalismus drückten darauf jedem in Memphis, der zu »Graceland« Zugang hatte, eine Kamera in die Hand und versprachen ihm ein Vermögen für ein Bild des toten »King«. Einem jungen Elvis-Cousin gelang schließlich der Schuss - für den er angeblich 100 000 US-Dollar erhielt. Es war ein Triumph des Sensationsjournalismus, der bei der seriösen Presse nicht ohne Wirkung blieb.
Die Printmedien begründeten mit diesem Foto das Spezialgenre »Celebrity in a Box«, das fortan gepflegt wurde. Das Bild des toten Rock Hudson beschaffte ein Reporter, der per Fallschirm über dem Leichenwagen absprang, das Bild von Bing Crosby im Sarg machte ein als Priester verkleideter Fotograf. Das Bild des toten Rockstars Kurt Cobain allerdings, der sich in den Kopf geschossen hatte, fand sogar die abgebrühteste Sensations-Redaktion undruckbar. Trotzdem war eine neue Branche im »celebrity voyeurism« der »yellow press« aufgetan worden. Man
muss nur denken, dass 1994 etwa 95 Millionen Amerikaner auf dem Bildschirm live die Flucht von O. J. Simpson in Los Angeles mitverfolgten. Der Sender CNN steigerte während der Zeit des Simpson-Prozesses den Preis pro Werbeminute um 600 Prozent.
Manchmal hat die Veröffentlichung solcher Bilder auch etwas Gutes. Als die Autopsieberichte des ermordeten US-Präsidenten J. F. Kennedy in einer Zeitung erschienen, war dies für die überwiegende Mehrheit der Betrachter nur gruselig. Aber andererseits konnte man eindeutig die Schädelverletzung identifizieren sowie die Tatsache, dass der Präsident von rückwärts getroffen wurde. Den zweiten Schützen, von dem immer wieder fantasiert wurde, gab es nicht. Die Fotografien des mit einem Kleinflugzeug abgestürzten »John-John« Kennedy jun. hat man zu Recht nicht publiziert, denn nicht nur die Piper Saratoga war in viele Bruchstücke zerlegt worden.
Die Faszination des Verbrechens
Das Ritual ist grotesk und bizarr. Mehrere
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