Im Schatten der Gerechtigkeit
Gegend gesehen hatten.«
»Äh ja. Ich verstehe.« Sie wandte sich wieder ab. Schwer lag der Duft der Blumen in der Luft; von irgendwoher hörte er das Summen von Bienen.
»Aber zuerst möchte ich mich noch von Ihrer Schwester verabschieden«, sagte er.
Sie trat einen Schritt auf ihn zu. »Wegen Julia – Mr. Monk…«
»Ja?«
»Sie müssen ihr verzeihen, daß sie etwas… überfürsorglich ist, was mich anbelangt.« Sie lächelte flüchtig. »Sie müssen wissen, daß unsere Mutter einige Tage nach meiner Geburt gestorben ist. Julia war damals erst elf.« Sie schüttelte sachte den Kopf. »Sie hätte mich deswegen auch hassen können, schließlich war es meine Geburt, die Mama das Leben gekostet hat. Statt dessen hat sie sich vom ersten Augenblick an um mich gekümmert. Sie ist immer für mich dagewesen. Sie war geduldig und zärtlich mit mir, als ich klein war, und als ich größer wurde, haben wir zusammen gespielt. Als ich älter wurde, war sie meine Lehrerin und hat all meine Erfahrungen mit mir geteilt. Niemand hätte liebevoller oder großzügiger sein können als sie.« Sie blickte ihn ganz offen an; in ihrem Gesicht spiegelte sich das Anliegen, daß er mehr sollte, als ihr nur glauben – er sollte sie verstehen.
»Manchmal fürchte ich, sie hat mir all die Hingabe zuteil werden lassen, die sie einem eigenen Kind gegeben haben könnte, hätte sie eines gehabt.« Jetzt waren ihr ihre Schuldgefühle anzuhören. »Ich hoffe, ich habe ihr nicht zuviel abverlangt und zuviel Zeit und Gefühl beansprucht.«
»Sie sind sehr gut in der Lage, auf sich selbst zu achten, und das bestimmt schon seit einiger Zeit«, antwortete er vernünftig.
»Sie würde sich Ihnen sicher nicht so sehr widmen, wenn sie das nicht auch wollte.«
»Das nehme ich auch an«, pflichtete sie ihm bei, sah ihn aber immer noch ernst an. Ein leichter Wind spielte mit ihrem Musselinrock. »Aber ich werde ihr nie danken können, was sie für mich getan hat. Sie müssen das einfach wissen, Mr. Monk, damit Sie sie etwas besser verstehen und nicht über sie urteilen …«
»Ich urteile nie, Miss Gillespie«, log er. Er neigte sehr wohl zu Urteilen, und zu sehr harten obendrein. In diesem besonderen Fall jedoch sah er nichts Falsches an Julia Penroses Sorge um ihre Schwester, was die Unwahrheit vielleicht wieder wettmachte.
Als sie den Seiteneingang erreicht hatten, um ins Haus zurückzukehren, empfing sie ein Mann Mitte Dreißig. Er war schlank, von mittlerer Größe, und sowohl Züge als auch Teint waren im Grunde recht durchschnittlich, hätte ihm sein verbitterter Ausdruck nicht eine Empfindlichkeit verliehen, unter der neben einem hitzigen Temperament auch eine ungeheure Verletzlichkeit lag.
Marianne trat etwas näher an Monk heran, und er spürte die Wärme ihres Körpers, als ihr Rock um seine Knöchel streifte.
»Guten Tag, Audley«, sagte sie etwas heiser, als wäre sie gar nicht darauf gefaßt gewesen, etwas zu sagen. »Du kommst sehr zeitig heute. Hattest du einen angenehmen Tag?«
Sein Blick wanderte von ihr zu Monk und wieder zurück.
»Ziemlich gewöhnlich, danke. Mit wem habe ich denn das Vergnügen?«
»Oh – das ist Mr. Monk«, erklärte sie unbeschwert. »Er ist ein Freund von Cousin Albert aus Halifax.«
»Guten Tag, Sir.« Audley Penrose war höflich, aber keineswegs erfreut. »Wie geht es Cousin Albert?«
»Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war er guter Dinge«, antwortete Monk, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Aber das ist schon ein Weilchen her. Ich kam nur zufällig hier vorbei, und da er immer so nett von Ihnen gesprochen hat, nahm ich mir die Freiheit, meine Aufwartung zu machen.«
»Meine Frau hat Ihnen doch sicher Tee angeboten? Ich habe gesehen, daß im Salon aufgetragen wurde.«
»Ich danke Ihnen.« Monk nahm die Einladung an, da es umfangreicher Erklärungen bedurft hätte, sofort zu gehen; außerdem erhoffte er sich von einer halben Stunde in Gesellschaft der ganzen Familie ein besseres Gespür für ihre Beziehungen.
Als er sich nach einer Dreiviertelstunde verabschiedete, hatte er weder seinen ursprünglichen Eindruck revidiert noch seine Befürchtungen.
»Was macht Ihnen denn so zu schaffen?« fragte Callandra Daviot beim Abendessen in ihrem kühlen grünen Eßzimmer. Sie lehnte sich zurück und sah Monk neugierig an. Sie war mittleren Alters, und noch nicht einmal ihre beste Freundin hätte sie schön genannt. Ihr Gesicht hatte bei weitem zu viel Charakter, ihre Nase war zu lang, ihr Haar
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