Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
überforderte offensichtlich die Fertigkeiten ihrer Zofe, eine zufriedenstellende, geschweige denn modische Ordnung hineinzubringen, aber ihre Augen waren groß, klar und wiesen auf eine bemerkenswerte Intelligenz. Das Grün ihres Kleides war angenehm anzusehen, aber von undefinierbarem Schnitt, als hätte eine ungeübte Schneiderin es auf den neuesten Stand zu bringen versucht.
    Monk betrachtete sie mit unverhohlener Zuneigung. Sie war offen, couragiert, neugierig und eigenwillig, und das alles im besten Sinne. Ihr Humor ließ sie keinen Augenblick im Stich. Sie war genauso, wie er sich eine Freundin wünschte, und sie war großzügig genug, ihn als Geschäftspartner zu engagieren, um ihn über die Runden zu bringen, wann immer seine Fälle ihm kein ausreichendes Einkommen sicherten. Als Gegenleistung verlangte sie, alles zu erfahren, was er ihr von seiner Arbeit anvertrauen konnte. Was er denn auch an diesem Abend im Eßzimmer bei einem exzellenten Abendessen aus gepökeltem Aal und frischem Sommergemüse tat. Da sie es ihm gesagt hatte, wußte er, daß dem noch Pflaumenkuchen mit Sahne und ein ausgezeichneter Stilton folgen sollten.
    »Daß nicht das Geringste zu beweisen ist«, beantwortete er ihre Frage. »Es gibt nichts außer Mariannes Wort dafür, daß dergleichen vorgefallen ist, ganz zu schweigen davon, daß es so passiert ist, wie sie es schildert.«
    »Zweifeln Sie denn an ihr?« fragte sie neugierig, aber ohne Vorwurf im Ton.
    Er zögerte einige Augenblicke, unschlüssig, jetzt, wo sie danach fragte. Weder unterbrach sie sein Schweigen noch zog sie den offensichtlichen Schluß daraus; sie aß einfach weiter.
    »In einigen Punkten sagt sie die Wahrheit«, meinte er schließlich. »Aber ich glaube, sie verheimlicht etwas Entscheidendes.«
    »Daß sie sich hingegeben hat?« Sie blickte zu ihm auf und sah ihn forschend an.
    »Nein, das glaube ich nicht.«
    »Was dann?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Und was gedenken die beiden zu tun, wenn Sie herausfinden sollten, wer es gewesen ist?« fragte sie mit hochgezogenen Brauen. »Ich meine, wer sollte es schon sein? Völlig fremde Leute springen nicht mir nichts, dir nichts über die Mauer eines Vorstadtgartens in der Hoffnung, in der nächstbesten Laube einer Jungfer Gewalt antun zu können. Und das so leise, daß weder das Personal noch der Gärtner aufmerksam werden. Und dann wieder husch über die Mauer, und auf und davon.«
    »Aus Ihrem Mund klingt die Geschichte ziemlich absurd«, sagte er trocken und nahm sich noch ein Stück Aal. Er war wirklich ausgezeichnet.
    »Das Leben ist oft absurd«, antwortete sie und reichte ihm die Soße. »Aber trotzdem ist das doch ziemlich unwahrscheinlich, meinen Sie nicht auch?«
    »Allerdings.« Er löffelte sich reichlich Soße auf den Teller.
    »Besonders unwahrscheinlich ist, daß es tatsächlich ein ihr völlig Fremder gewesen sein sollte. Wenn es jemand war, den sie kennt und der durchs Haus kam und somit wußte, daß niemand in der Nähe war, um etwas zu hören, und dessen Anwesenheit sie zudem nicht erschreckte, wie die eines Fremden das getan hätte, dann wird die Geschichte schon weitaus wahrscheinlicher.«
    »Was mir weitaus mehr Sorgen macht«, fuhr Callandra nachdenklich fort, »ist, was die beiden tun wollen, wenn Sie ihnen sagen, wer es war – falls Sie das tun.« Ein Punkt, der ihm selbst schon zu schaffen machte. Callandra stöhnte. »Hört sich ganz nach einer persönlichen Rache an. Ich denke, Sie sollten sich sorgfältig überlegen, was Sie den beiden sagen. Und, William…«
    »Ja?«
    »Sie sind sich besser absolut sicher dabei!« Monk seufzte. Mit jedem neuen Gedanken wurde die Geschichte häßlicher und komplizierter.
    »Welchen Eindruck hatten Sie denn von der Schwester und ihrem Mann?« setzte sie das Gespräch fort.
    »Von denen?« Er war überrascht. »Ausgesprochen mitfühlend. Ich glaube nicht, daß sie von den beiden etwas zu befürchten hat, selbst wenn sie sich nicht so entschieden gewehrt hat, wie es vielleicht möglich gewesen wäre.«
    Callandra sagte nichts. Sie beendeten den Gang in freundschaftlichem Schweigen, dann trug man den Pflaumenkuchen auf. Er war so köstlich, daß sie beide einige Minuten lang schweigend aßen, bis Callandra schließlich den Löffel beiseite legte.
    »Haben Sie Hester in letzter Zeit gesehen?« Aus irgendeinem Grund lächelte sie in sich hinein. Er war irritiert, und kam sich, ohne zu wissen warum, wie ein dummer Schuljunge vor.
    »Ich habe sie schon länger

Weitere Kostenlose Bücher