Im Schatten der Mitternachtssonne
ernstgemeint oder nicht. Er war ein gutaussehender Mann, rauh und aus grobem Holz geschnitzt, jung und hochgewachsen und kräftig gebaut. Wie die meisten seiner Landsleute hatte er blondes, volles Haar, seine Augen waren blau und klar wie der Sommerhimmel über York.
Sie neigte den Kopf seitlich, immer noch lächelnd. Er war unverfroren, dieser Wikinger. Sie spähte in den Brunnen hinunter. »Mein Eimer ist fort. Was mache ich jetzt nur?«
Magnus bestaunte das Leuchten ihrer grünen Augen. »Ich hole dir deinen Eimer wieder. Mein Name ist Magnus —«
»Ich weiß«, unterbrach Zarabeth. »Magnus Haraldsson, und du bist Gutsherr und Handelsmann, und du bist weder grausam noch hinterhältig, und du möchtest mich zur Frau nehmen.«
Er furchte die Stirn. Sie war dreist, diese Frau mit dem fremdländischen Namen und dem warmen Lächeln. Sie machte sich über ihn lustig; das behagte ihm nicht. »Ja«, sagte er kühl. »Ich möchte dich zur Frau nehmen. Und jetzt hole ich dir deinen Eimer wieder.«
Sie trat beiseite und sah ihm nach, wie er in Siegerpose zur Esse des Schmieds auf der anderen Seite des Platzes ging. Gleich darauf kam er wieder mit einer langen Stange, an deren Ende ein Eisenhaken befestigt war. Er beugte sich weit über den Brunnen und senkte die Stange in den
Schacht. Sie hörte das Plätschern des Wassers aus der Tiefe, dazu sein leises Fluchen, ohne die Worte zu verstehen. Er bemühte sich redlich, den Eimer herauszufischen, den seine Stange nicht erreichen konnte. Schließlich gab er endgültig auf, richtete sich auf und blickte sie an.
»Ich kann ihn nicht heraufholen, die Stange ist zu kurz. Ich werde dir den Eimer ersetzen, weil du wegen meiner Anrede erschrocken bist.«
Das gefiel Zarabeth. »Das ist nicht nötig. Ich war ungeschickt, weiter nichts. Du hast mich erschreckt, das war dein einziger Fehler.« Sie wartete lächelnd. »Du kennst meinen Namen, aber du weißt nicht wirklich, wer ich bin. Ich bin Zarabeth, Stieftochter von Olav, dem Pelzhändler, und . . .«
»Und du willst meine Frau werden, jetzt, da du mich kennengelernt hast«, beendete er ihren Satz mit großer Selbstverständlichkeit. »Du entscheidest dich schnell. Das gefällt mir an einer Frau.«
»Wie bitte?«
»Es ist gut, daß du eine Frau mit Verstand und rascher Entschlußkraft bist. Ich werde mit Olav dem Eitlen sprechen, wir werden uns über das Brautgeld einigen und dann . . .«
»Ich will dich nicht heiraten!«
Er blickte sie mit gefurchter Stirn an. »Wieso nicht? Soeben hast du gesagt, daß du mich willst.«
»Ich habe nichts dergleichen gesagt. Ich kenne dich nicht. Ich habe dich nie zuvor in meinem Leben gesehen. Du hast Schuld, daß ich meinen Eimer verloren habe. Was willst du überhaupt?«
»Ich bin ein Gutsherr und ein Handelsmann. Ich bin nach York gekommen, um Handel zu treiben, das tue ich mehrmals im Jahr. Ich habe dich vor zwei Tagen gesehen und dich beobachtet. Ich habe beschlossen, daß du die richtige Frau für mich bist. Du gefällst mir. Du wirst meine Lust stillen und meine Kinder gebären, du wirst meinen Herd feuern, meine Mahlzeiten kochen und meine Gewänder nähen.«
Zarabeth, eben noch belustigt über die Unverfrorenheit des Fremden, fühlte sich nun von seinem Hochmut abgestoßen. Er erheiterte sie nicht mehr, denn sie begriff, daß es ihm damit ernst war. Und mit einem Normannen war nicht zu spaßen, das wußte jeder. Aber es ergab keinen Sinn. Der Aufzählung seiner Anforderungen an sie nach zu schließen, brauchte er eine Sklavin. Besorgnis stieg in ihr hoch, denn seine Augen hatten sich verengt. Er wirkte nun nicht mehr wie ein gutmütiger Bursche, der gerne lachte. Sie würde ihm ihr Unbehagen aber nicht zeigen.
»Ist das alles, was du zu sagen hast, Magnus Haraldsson? Du glaubst, ich sei die Richtige für dich? Das klingt, als wolltest du mich zu deiner Magd machen. Nein, laß mich ausreden. Ich könnte doch auch ein zänkisches Weib sein mit einer lauten und giftigen Zunge. Und du? Womöglich verprügelst du Frauen. Vielleicht badest du nicht und riechst schlecht wie die verfaulten Eingeweide eines Wiesels. Vielleicht . . .«
»Das reicht, Zarabeth.« Er schwieg eine Weile. Dann schlossen sich seine großen Hände um ihre Oberarme. Sie erstarrte, zwang sich aber zur Ruhe. Sie standen schließlich mitten auf dem Coppergate Platz, umgeben von Leuten, die sie kannte. Manche schauten zu ihnen herüber. Sie mußte also keine Furcht haben. Sie lächelte ihn wieder an, diesmal war
Weitere Kostenlose Bücher