Im Schatten der Pineta
kamen sie spätnachmittags langsam und geordnet als logische Gedanken, die sich hin und her wenden ließen und sich dann zu nachvollziehbaren Gedankengängen zusammenfügten. Die Drogenhypothese kam ihm wieder in den Sinn. Wenn man kleinlich sein wollte (und das gelang Massimo immer besonders gut), ergab etwas anderes hingegen immer weniger Sinn. Etwas, das der Anwalt am Abend zuvor beim Essen gesagt hatte und was ihm immer wieder im Kopf herumspukte. Nämlich: Das Mädchen wurde um Mitternacht herum ermordet. Aber warum hatte sie in den Stunden vor der Tat niemand gesehen? Weder zu Hause beim Abendessen – was niemanden weiter wunderte, hatte das Mädchen doch ihre Mutter angerufen, um ihr zu sagen, dass sie auswärts essen würde – noch nach dem Abendessen. Sie war an keinem Ort gewesen, an dem jemand sie kannte, also war sie allein für drei, vier Stunden ausgegangen? Oder aber sie hatte sich bereits in Gesellschaft ihres Mörders befunden. Und in diesem Fall kam man wieder auf Pigi, der entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten nicht zum Abendessen im Boccaccio und zu spät zur Arbeit in der Disco erschienen war. Vielleicht ergab das Ganze dann doch einen Sinn: Tatsächlich waren Pigi und Alina im selben Zeitraum von niemandem gesehen worden, und das waren doch ein bisschen zu viele Zufälle.
Hör zu, sagte er zu sich, wir fahren jetzt doch lieber zur Bar zurück, dann sehen wir weiter. Außerdem, wenn es inzwischen was Neues gibt, sind die Bocciafreunde bestimmt die Ersten, die es mitbekommen haben.
In die Bar zurückgekehrt, war er überrascht, Del Tacca und Großvater Ampelio noch immer an einem Tisch im Freien sitzen zu sehen, während sowohl drinnen als auch draußen die üblichen Grüppchen Müßiggänger zu einem Aperitif eintrudelten, um sich für die unverdiente abendliche Essensration zu wappnen, die sie erwartete. Gleichzeitig sah er im Innern der Bar Dr. Carli, der gerade von seinem angestammten Barhocker aufstand und im Vorübergehen einen imaginären Hut lüpfte.
»Und wo gehen Sie zum Abendessen hin?«
»Heute nach Hause. Meine Frau hat keine Lust, auswärts zu essen. Ich werde später noch ein bisschen ausgehen, falls überhaupt. Bis morgen.«
Ach ja, bis morgen. Wie die meisten anderen war auch der Dottore vor dem Mord etwa einmal in der Woche vorbeigekommen. Neuerdings ließ er sich täglich blicken. Er nahm stets auf demselben Hocker Platz, um einen Aperitif oder einen Kaffee zu trinken, ehe es nach Hause oder wieder in die Klinik ging, während sein Hochsitz ihm einen optimalen Blick auf Tizianas Ausschnitt gewährte, den er mit betonter, aber geheuchelter Gleichgültigkeit genießen konnte.
Massimo nahm einen Stuhl, drehte ihn mit der Rückenlehne zum Tisch und setzte sich zum Jahrgang ’29.
»Hallo zusammen. Was macht ihr denn noch hier?«, fragte er, obwohl er die Antwort bereits kannte.
»Hallo, Massimo«, sagte Del Tacca. »Wir plaudern halt ein bisschen. Rimediotti und Aldo kommen auch gleich.«
»Gut, ich hab euch schon vermisst. Geht ihr nicht zum Abendessen nach Hause?«
»Nein. Unsere Frauen sind zum Wohltätigkeitsfest der Kirche gegangen, und da ich für Don Graziano nur etwas übrig habe, wenn er schläft – vorausgesetzt, sein Gewissen lässt diesen Hurensohn überhaupt ruhig schlafen –, musste ich passen. Wir essen später hier eine Kleinigkeit.«
»Wenn ihr euer Essen selbst mitbringt, von mir aus. Wie ihr wisst, bleibt nach der Aperitifzeit immer wenig übrig, und die Schiacciatine sind schon aus.«
»Egal, mir genügt auch ein Eis«, sagte Ampelio, der mit gespielt unschuldiger Miene einer Gruppe sylphidenhafter Mädchen nachschaute, die unter knappen Strandkleidern knackige Pobacken zur Schau stellten und mit betonter Gleichgültigkeit auf dem Gehsteig vorbeischlenderten.
Wie hübsch sie sind, diese Mädchen, die vom Strand zurückkommen, dachte Massimo.
Müden Schrittes nach einem langen Tag in der Sonne, und doch mit dem rhythmischen Schwung einer nordischen Göttin, die nichts um sich herum wichtig nimmt. Die Aura natürlicher Unberührtheit verleiht ihnen ein gleichsam überirdisches Aussehen, verbunden mit der unausgesprochenen Ermahnung an den Betrachter, nicht ergründen zu wollen, welcher Zahir sich hinter dieser dunklen Sonnenbrille und unter dem Strandkleid versteckt, das der leichten Meeresbrise ebenso förderlich ist, wie es die schlanken Hüften betont. Göttinnen, genau, aus einem fernen Walhalla, das sich womöglich als das nahe gelegene
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