Im Schatten der Pineta
Massimos Stimme klang ungerührt, während er die Tasse mit dem Cappuccino auf den Unterteller stellte. »Es kommt nämlich nur selten vor, dass mich interessiert, was du zu sagen hast.«
Einen Moment lang herrschte neugiergeschwängertes Schweigen. Ein Schweigen, das sich anhörte wie: »Uns liegt allen dieselbe Frage auf der Zunge. Wer ist der Erste, der damit herausrückt? Will nicht endlich jemand was sagen? Warum, zum Teufel, tun wir plötzlich alle so vornehm?«
»Also« – Aldos sanfte, aber bestimmte Stimme opferte sich auf –, »was hat es mit dem Mordmotiv auf sich?«
Der Dottore nippte genüsslich an seinem Cappuccino, kostete den Augenblick förmlich aus. Dann stellte er die Tasse auf den Unterteller und setzte sich auf einen Barhocker.
»Tja, das Motiv. Ich verrate es Ihnen nur, weil Sie es spätestens morgen ohnehin erfahren würden, denn das Analyselabor wurde von Reportern belagert. Und der Dummkopf von einem Auszubildenden hat sich die Gelegenheit natürlich nicht entgehen lassen, das Ergebnis bei erstbester Gelegenheit auszuplaudern.«
Kurze, spannungssteigernde Pause. Einen kleinen Schluck vom Cappuccino, Tasse mit zufriedenem Ausdruck zurück auf den Unterteller, mit der Serviette die Lippen abgetupft, wie es sich gehört, dann die Beine übereinandergeschlagen. So, nun kann man wieder sprechen.
»Das Mädchen war schwanger, was bereits hinlänglich bekannt sein dürfte. Und Sie haben ja auch schon festgestellt, wer der Vater des Ungeborenen war, nicht wahr? Piergiorgio Neri, richtig?«
Kleine Kunstpause. Ein mit dem Zeigefinger gewedeltes Nein.
»Aber Sie irren. Das Ungeborene des Mordopfers und Neri sind nicht im Entferntesten miteinander verwandt. Doch es liegt ja auch der genetische Code des zuerst Verdächtigten vor, und der wurde ebenfalls untersucht …«
Ungläubige Gesichter im Senat, der auf Anhieb begriffen hat.
»… und da hat’s klick gemacht! Die beiden DNAs stimmen perfekt überein, so gut, dass es fast nicht wahr sein kann. Sie sind absolut identisch, daran gibt es nichts zu rütteln.«
Allgemeine Bestürzung.
»Bruno Messa?«, fragte Aldo.
Der Dottore nickte feierlich und trank seinen wohlverdienten Cappuccino aus.
»Genau der. Was die Sachlage verkompliziert. Sie werden nun verstehen, dass es immer schwieriger wird, eine Verbindung zwischen Alina und Pigi herzustellen. Im Übrigen kommt jetzt ans Licht, dass dieser andere Kerl keineswegs alles gesagt hat, was er wusste. Kann ja mal vorkommen, dass man ein bisschen zerstreut ist, aber wenn man eine Zeugenaussage macht, sollte man sich an gewisse Dinge doch besser erinnern. Kurz und gut, man hat zwar nicht gehofft, dass das ungeborene Kind des Pudels Kern ist, aber verdammt, hätte ich eine Wette darüber abgeben sollen, wer der Vater ist …«
»… wären Sie sicher gewesen, sie zu gewinnen?«
Der Ton, der Ton. Es ist immer der Ton, der die Musik macht. Die gleiche Frage in zwei verschiedenen Tonlagen gestellt, und man bekommt entweder eine Antwort, oder das Ganze artet in eine Schlägerei aus. In diesem Fall ließ Ampelios Ton kein wirkliches Interesse an Dr. Carlis Überzeugungen erkennen, sondern eine nicht zu überhörende Andeutung hinsichtlich der Tugendhaftigkeit des Opfers, insbesondere in puncto »Keuschheit und Enthaltsamkeit«. Und deswegen war es nur der guten Erziehung des Dottore sowie dem Umstand geschuldet, dass es sich nicht gehörte einem Achtzigjährigen nach Westernart einen Stuhl über den Kopf zu hauen, dass Ampelios Frage keine schlimmeren Konsequenzen nach sich zog.
Dennoch kam das Gespräch, wie nicht anders zu erwarten, für einen Moment ins Stocken. Einen Moment, den Tiziana nutzte, um sich zum ersten Mal seit Längerem wieder in die Diskussion einzuschalten: »Und nun?«
Der Dottore, ob als Provokation oder aus Verehrung, wandte sich mit seiner Antwort direkt an sie statt an den Chor wie bisher.
»Und nun sind wir genauso schlau wie zuvor. Es gibt zwei Verdächtige: Der eine kann die Tat mit Sicherheit nicht begangen haben, also hat man ihn wieder freigelassen. Der andere, der, in Klammern gesagt, der Schuldige ist (übertriebenes Beipflichten seitens der Alten, die sich wieder als das eigentliche Publikum in Erinnerung rufen wollten), hat kein Alibi, und die Art, wie er die fragliche Nacht verbracht haben möchte, schreit förmlich nach einer Anklage, doch da wir nun mal in Italien sind und nicht bei den Taliban oder in den Vereinigten Staaten, kann man ihn nicht ohne Beweise
Weitere Kostenlose Bücher