Im Schatten der Schlange
hat, ist nicht so leicht zu vernichten, wie das hier geschehen ist. Es war wohl auch nur ein Schatten… so wie ich einst einer war.«
Sie fanden Joise reglos im Gras liegen. Sie war nicht tot, aber so schwach, daß sie kaum die Augenlider zu heben vermochte. Um Barynnen stand es nicht besser.
Zwei der Wachen, die O’Braenn bei den Pferden zurückgelassen hatte, kamen herangeritten, vom Tumult angelockt. Die beiden Bewußtlosen wurden auf die Pferde geladen, dann machte sich die Schar lärmend auf den Weg zu dem Tümpel, den die Pferde mit sicherer Nase gefunden hatten. Bald brannte ein großes Feuer, denn jenseits der Lichtung war der Wald nicht mehr aus Stein, und es gab genug trockenes Holz. Jeder bedauerte, daß das Fleisch, das ihnen Barynnen vorgesetzt hatte, nicht wirklich gewesen war, denn nun mußten sie sich wieder mit den spärlichen Vorräten begnügen.
Dilvoog hockte abseits vom Feuer und ließ kein Auge von Joise O’Crym.
6.
Barynnen erholte sich rasch. Er hatte keine Wunden. Das geistige Band, das ihn mit dem toten Priester verbunden hatte, war ihm zum Verhängnis geworden. Aus dem Beherrscher war der Gefangene geworden. Vielleicht hatte die, Finsternis dem Priester die Macht gegeben, seinen Meister abzuschütteln, und wäre Dilvoog nicht dazwischengegangen, hätte Barynnen nicht überlebt.
Im selben Maß, in dem Barynnen sich erholte, tat dies auch sein Weib Joise. Noch bevor Mitternacht da war, saßen sie beide bereits am Lagerfeuer und schlürften die stark verdünnte Opisbrühe.
Als schließlich alle schliefen bis auf die mißmutigen Wachen, weckte der unheilige Schatten der Schlange Aescyla seltsame Geister in den Köpfen der Schläfer.
Dilvoog erwachte, weil seine nicht ganz menschlichen Sinne es spürten. Er blickte fasziniert auf die Stelle, wo Urgat und seine Viererschaft lagen, aber er griff nicht ein.
Nebelhafte Gestalten standen dort über den Lorvanern – ein halbes Dutzend, und ihre Zahl wuchs geisterhaft. Einige Herzschläge lang standen sie starr, bis ihre Leiber nicht mehr durchsichtig waren, dann kam Bewegung in sie. Sie zogen sich vorsichtig von den Schlafenden zurück und tauchten wie entschwindende Träume in die Dunkelheit der Nacht. Der Schein des niederbrennenden Feuers reichte nur wenige Schritte.
Aber immer noch entstanden neue Gestalten um Urgat herum. Im Feuerschein war es wie Nebel, der sich formte, fester wurde – Und zu einer menschlichen Gestalt. Es war eine sehr verschieden geartete Schar: Lorvaner, Dandamarer, Tainnianer, Ugaliener und andere, deren Herkunft Dilvoog nicht zu deuten wußte. Aber er wußte auch noch nicht viel über die Menschen dieser Welt.
Es war, als ob die Schläfer von diesen Männern und Frauen träumten und sie im magischen Schatten der Schlange Wirklichkeit würden.
Dilvoog wußte vom Tempel Oannons in den Voldend-Bergen, von den Abenteuern Urgats und Nottres und ihrer Begleiter, von den körperlosen Geistern, die von ihnen Besitz ergriffen hatten, zum Beispiel von Mon’Kavaers Gegenwart in Urgat, und er zweifelte nun nicht daran, daß es diese Geister waren, die die Körper ihrer Befreier aus jenen Tagen verließen.
Magie und Erinnerung, Instinkte und Verlangen waren die Kräfte, die ihre Körper in der Dunkelheit enstehen ließen, ohne daß die Schläfer etwas merkten. Die Wachen hatten ihre Augen nicht auf das Feuer gerichtet, sondern in die Nacht hinaus.
Dilvoog zählte drei Dutzend. Ein Mädchen entstand zuletzt. Sie war ein zartes Geschöpf in einem langen weißen Gewand. Sie stand unschlüssig.
Sie muß eine Priesterin sein, dachte Dilvoog. Sicherlich ist die Welt der Krieger zu rauh für ihresgleichen.
Sie blickte den verschwindenden Gestalten nach, aber sie folgte ihnen nicht. Sie blickte um sich auf die Schlafenden. Dann stieg sie über Urgat hinweg und wärmte ihre Hände am Feuer. Sie setzte sich und starrte stumm in die Flammen. Und ab und zu strichen ihre Hände über ihren Körper, um zu fühlen, daß er da war.
Dilvoog, der Männer- und Frauengeister beherrscht hatte, bevor er im Körper des Priesters Waerin endgültig ans Leben gefesselt wurde, sah dieses Leben noch immer wie ein ungeschlechtlicher Beobachter. Er dachte von sich nicht als Mensch, und schon gar nicht als Mann.
Aber dieses Mädchen erwärmte zum erstenmal sein Herz. Er fühlte sich nun deutlich männlich und fand Gefallen an dem langen blonden Haar, den sanften, traurigen Zügen und den Augen, die im Widerschein der Glut wie dunkle Rubine
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