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Im Schatten der Schlange

Im Schatten der Schlange

Titel: Im Schatten der Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Walker
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waren. Aber auch die Schönheit von Rubinen war etwas, das er nie zuvor verstanden hatte.
    Dilvoog war dabei, erwachsen zu werden.
    Er wußte, daß sie nicht wirklich lebte. So wie die anderen, die sich aus den Köpfen der Lorvaner freigemacht hatten, war sie ein magisches Wesen. Der Geist war wirklich genug, doch der Körper war etwas Beschworenes, das wie der Turm nur hier Bestand hatte, solange man es nicht verleugnete.
    Er erhob sich leise und ließ sich ihr gegenüber am Feuer nieder.
    Sie erschrak, als er kam, aber sie war zu sehr mit dem Erfühlen ihres neuen Daseins beschäftigt, um Furcht zu empfinden.
    »Ich habe dich beobachtet«, sagte er und lächelte ihr zu.
    »Ihr habt es gesehen?« fragte sie. Sie sah ihn ein wenig ängstlich an. »Die anderen auch?«
    Er nickte.
    »Vielleicht hätte ich auch mit ihnen gehen sollen… im Schutz der Nacht verschwinden…«
    »Die Nacht schützt niemanden«, erwiderte er.
    »Ja, das sagt man auch dort, wo ich herkomme… in Arvangen… ich war die Dienerin einer vornehmen Dame, die ein eigenes Schloß besaß und am dandamarischen Hof verkehrte…«
    »Wie heißt du?« fragte er sanft.
    »Trygga, Herr.«
    »Trygga«, wiederholte er, und der Name hatte einen guten Klang auf seinen Lippen. Sie musterte ihn stumm. »Sag mir, warum bist du nicht mit den anderen gegangen, Trygga?«
    »Ich hatte Furcht…«
    »Furcht? Vor ihnen?«
    Sie schüttelte verneinend den Kopf. Dann wandte sie sich um und blickte in Urgats Richtung. »Ich war so lange gefangen und geborgen in ihm… ich weiß nicht, was mich erschreckt, aber ich würde am liebsten wieder zurückkriechen…«
    »Er hat nichts gespürt?«
    »Nein. Er hat mich nie gespürt. Es war immer ein anderer da, der alles beherrschte, selbst ihn manchmal.«
    »Wer war das?«
    »Er nannte sich Mon’Kavaer, und wenn es stimmt, was er von sich behauptet, war er ein Alptraumritter.«
    »Er ist es.«
    »Ihr kennt ihn?« entfuhr es ihr.
    Er nickte. »Ich bin Dilvoog«, erklärte er. Und plump fügte er hinzu: »Du kannst nicht mehr zurückkriechen. Urgat läßt dich nicht mehr hinein… und keiner der anderen würde es tun. Sie haben zu große Furcht davor. Aber ich würde es tun, wenn du an meiner Seite bleibst.«
    Sie musterte ihn, und ihr mißfiel nicht, was sie sah. »Dann werde ich an Eurer Seite bleiben.«
    »Hast du Hunger?«
    »Nein.«
    »Bist du müde?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Es ist, als wäre ich eben erst geboren worden.«
    »Du spürst die Wärme des Feuers? Die Kühle der Nacht?«
    »Ja, es ist gut, sie zu spüren.«
    »Steh auf«, verlangte er.
    Sie erhob sich gehorsam.
    »Dieses Gewand… kannst du es öffnen?«
    Sie blickte ihn ein wenig bitter an. Dann bückte sie sich und nahm den Saum ihres Gewandes und zog ihn über den Kopf. Dann stand sie nackt und fröstelnd im Schein des Feuers.
    Er betrachtete ihre Schönheit stumm und dachte, wie vollkommen der Geist das Fleisch in Erinnerung behielt. Dieses Mädchen war seit vielen Jahren nicht mehr als Verstand und Seele gewesen – eingekerkert in Oannons Tempel und später im Kopf Urgats. Und dennoch schuf dieser Geist hier seinen Körper so vollkommen, als hätte er ihn nie verlassen.
    »Begehrt Ihr mich?« fragte sie.
    Er antwortete nicht, aber sie sah in seinen Augen, daß er gefangen war von ihrem Anblick.
    Sie schlüpfte wieder in ihr Gewand und ließ sich am Feuer nieder. Leise begann sie zu erzählen.
    »Am dandamarischen Hof haben sich viele Hochgeborene an meiner Schönheit erfreut. Es war der Wille meiner Herrschaft, daß ich gefällig war, wie viele andere Mädchen aus den Provinzen. Ich war nie unglücklich darüber. Ich war begehrt, ich bekam wundervolle Kleider und kostbare Dinge, die sonst unerreichbar waren für ein Mädchen meines Standes. Und die feurigsten Liebschaften sind noch immer glühende Erinnerungen, die in kalten Nächten wärmen, und es kamen viele kalte Nächte. Ich wurde krank, so krank, daß keiner dachte, ich würde je wieder leben. Ein Priester nahm mich in seinen Tempel. Er war ein Diener Arghs. Das ist nur ein kleiner Gott, den kaum einer kennt. In seinen Lehren heißt es, daß man sich befreien soll von seinem Körper. Aber da die meisten Menschen nicht viel mehr besitzen als ihren Körper, hat diese Lehre nicht viel Anhänger gefunden. Ich sah auch nur diesen einen Priester. Der Tempel war klein, der Altar ein grober Steinblock, den ihm die Bauern der Umgebung herbeigerollt hatten, weil er ihnen half, wenn sie krank waren.

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