Im Schatten der Tosca
Kehlkopfakrobatin, ihr lag daran, ihre Rollen so zu gestalten, dass die Menschen im Zuschauerraum von diesen Frauenfiguren berührt wurden. Erst wenn sie merkte, dass die Leute mit den Herzen dabei waren,nicht nur mit Ohren und Augen, war sie mit sich zufrieden und auch glücklich. Dann fühlte sie sich reich belohnt für die harte Arbeit und war mehr denn je davon durchdrungen, den schönsten Beruf der Welt zu haben.
Nur, warum strengte sie dann eine Tätigkeit, die sie liebte, dennoch an? Manchmal überfielen sie Erschöpfungsattacken, sie fühlte sich ausgepumpt und leer – und das in einem Alter, in dem andere mit dem Singen auf der Bühne gerade erst anfingen.
Nun gut, mit einigen kräfteraubenden Lästigkeiten hatte Elia nach der ersten Anlaufzeit besser umzugehen gelernt. Sie ließ sich bei den Tourneen von jemand anderem die Koffer packen oder sich ganz ungeniert entschuldigen, wenn sie keine Lust hatte, sich mit irgendwelchen Leuten zu treffen, die Stimme, die heilige Stimme lieferte immer einen fabelhaften Vorwand. Vor den Vorstellungen bestand sie auf ihrem Mittagsschläfchen, so wie seinerzeit Ferdinand. Für mehr Ruhe hatte sie also inzwischen gesorgt. Etwas anderes fehlte.
Zwar hatte Elia in Rom ihre geliebte Wohnung, die sich zum Ausruhen eignete, aber nicht für ein Zusammenleben. Bei Tante Ambrosia wartete ihr gemütliches Dachstübchen auf sie, und bei den Großeltern konnte sie sich, wie schon als kleines Mädchen, austoben, wenn sie das unbedingt wollte, oder herumrennen mit Fiamma. Kein schlechter Ort, um sich zu erholen. Was aber, wenn Carlos mitkommen wollte, wohin mit ihm? Immer deutlicher hatte es Elia vor sich gesehen: ein Nest, ein eigenes Nest, in dem sie zusammen mit Carlos sein konnte – und gelegentlich auch allein.
Elia fing schließlich an, den Ziegenstall und eine halb zerfallene Scheuer im hintersten Winkel von Tante Ambrosias Garten auszubauen. Hübsch und bequem sollte es werden, auch für Freunde musste sich ein Plätzchen finden. Einen Swimmingpool, wie ihre Kollegen, brauchte Elia nicht, sie hatte das Meer in Sichtweite.
Der Gedanke an Kinder war ihr bisher noch gar nicht gekommen.Aber die Zeit flog dahin, Elia war älter geworden, selbstbewusster und sicherer. Sie war jetzt Ende zwanzig und begann nun doch, hin und wieder an eine eigene Familie zu denken. Ganz entspannt, auf vergnügte, leichte Weise, und je länger sie das tat, desto besser gefiel ihr die Idee. Sie konnte sich ihre Arbeit entsprechend einteilen und sich beim Reisen auf Europa konzentrieren, irgendwann vielleicht sogar ganz auf Italien. Bei ihrer mäßigen Reiselust würde das nicht einmal ein Opfer bedeuten. Zudem würde ihr die Mutter helfen, die ganze Sippe, auch Geld war inzwischen vorhanden. Höchst normale Gedanken, wie Elia bei zwei ihrer besten Freundinnen bestätigt fand.
Die eine war Gwendolyn, ausgerechnet sie, die am heftigsten für ihre Unabhängigkeit plädiert und sie auch ausgelebt hatte. Und nun hatte sie ein Baby, und es bekam ihr vorzüglich, wie Elia bei einem Besuch ein wenig neidisch feststellte. Wie bei den meisten Menschen vom Film war Gwendolyns Leben bisher reichlich hektisch und maßlos verlaufen, in kreativen Schüben. Wochenlanges Schuften bis zum Umfallen wurde abgelöst von depressivem Herumhängen. Mit viel Zigarettenqualm und großen Alkoholmengen. Damit hatte der kleine Filippo vor einigen Wochen Schluss gemacht und für eine neue Ordnung gesorgt. Jetzt verbrachte Gwendolyn die Nächte zu Hause, und die Dinge nahmen ihren geregelten Lauf. »Die reinste Erholung«, gab Gwendolyn zu. »Ich rauche kaum mehr und trinke wenig, ich komme besser zum Arbeiten als früher und merke jetzt, mit wie viel unnötigem Kleinkram ich meine Zeit verplempert habe.«
Bei der anderen Freundin handelte es sich um Martina. Ein Kind gab es zwar nicht, dafür endlich den Mann fürs Leben. Es war Massimo! Die beiden hatten sich wiedergetroffen und ernstlich ineinander verliebt. Jetzt waren sie überglücklich und dachten ans Heiraten. Warum auch nicht, Massimo hatte inzwischen die Praxis seines Vaters übernommen, zusätzlich noch als in Amerika geschulter Seelendoktor, und Martinafreute sich auf einen sicheren Port. »Weißt du, ich glaube, gerade bei unserem unsteten Künstlerleben brauchen wir den Halt einer richtigen Familie«, hatte sie zu Elia gesagt. Massimos Großeltern waren vor Kurzem im Abstand von wenigen Wochen gestorben, jetzt planten Mariana und Pietro, den Piano Nobile zu
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